Copyright by Jan-Geert Lukner
In Ermangelung an Schnee - dieses Jahr war die übliche Graubünden-Tour flach gefallen und von Hamburg erwarte ich bezüglich Schnee sowieso nichts mehr - entschloss ich mich, einfach einen Scanrail-Flexipass zu kaufen (fünf frei wählbare Tage innerhalb eines halben Monats) und mich durch die nordische Winterlandschaft treiben zu lassen. Natürlich hatte ich die Hoffnung, bei schönem Wetter vielleicht auch mal das eine oder andere Foto zu schießen.Auf der Fähre aß ich eine Kleinigkeit (Eklige Currywurst mit Pommes, war halt ne dänische Fähre...) und testete, wie lange ich an Deck Handy-Empfang hatte. Das Teil wechselte jedoch ohne Empfangsunterbrechung irgendwann auf einen dänischen Sender. Wunder der Technik!!! Zurück im Zug setzte ich mich in eine freie Vierersitzgruppe. Auf der anderen Seite des Ganges saß ein Öko-Typ mit Vollbart und Cordhose. Er unterhielt sich laut mit einem Kollegen und einem südländisch aussehenden Menschen. Dem Gespräch konnte ich entnehmen, dass er im Bereich Alternative Energien tätig sei und darüber einfach alles wusste und zu jeder Frage seine feste Meinung hatte. Der Südländer schaute ihn jedenfalls die ganze Zeit mit begeistertem "Boa ey"-Blick an. Immerhin war das Gespräch (bzw. der Monolog) so interessant, dass ich mein Buch erstmal zur Seite legte. Die geplanten Offshore-Windparks -so erfuhr ich- würden aufgrund schädlicher akustischer Emissionen ganze Fischschwärme durcheinander bringen können. Na, wenn ich in der Leine mal einen Schwarm Delfine sehe, weiß ich jedenfalls den Grund...
Und die Fahrt durch die Winterwelt war jedenfalls eindrucksvoll. Dass schon in Oslo so viel Schnee liegen würde, hatte ich nicht erwartet. Und beim Aufstieg ins Dovrefjell fuhren wir teilweise in dichte graue Schneewolken hinein, die finster im Gudbrandsdalen hingen. Das letzte Stück aufwärts ging es im Bummeltempo. Wie ich dann im bereits auf der Hochebene gelegenen Ausweichbahnhof Fokstua sehen konnte, hatte vor uns ein Räum-Skl die Strecke "gefegt". So entstand jedenfalls ein beträchtlicher Teil der dreißigminütigen Verspätung. Auf dem Fjell selbst und dahinter schien dann allerdings größtenteils die Sonne. Einige weiße Bergkuppen wurden genial vor dunklen Schneewolken angestrahlt. Als wir in Trondheim eintrafen, war der Bahnsteig schwarz von Menschen. Der Wagenpark sollte inzwischen nämlich schon wieder die Rückreise angetreten haben...
Vom Bahnhof aus im Vandrerhjem nachgefragt, ob denn noch Platz wäre, und nach einem positiven Bescheid eine kleine Motiv-Erkundungstour entlang des Fjordes gemacht. Wenn das Wetter nämlich morgen ähnlich wäre, würde ich glatt paar Streckenaufnahmen am verschneiten Ufer des Fjordes machen (z.B. mit dem Di3-bespannten Schwedenzug).
Nach einem kurzen Einkaufsbummel im Supermarkt ergab sich im Fernsehraum des Vandrerhjems einer dieser schönen Abende, an denen man sich mit wildfremden Leuten über Gott und die Welt unterhält. Neben Antonio, einem Schweizer aus meinem Vierbettzimmer, waren noch zwei Deutsche aus Köln und eine Norwegerin dabei. Die beiden Kölner mussten nach einer früher als geplant fertig gewordenen Geologie-Exkursion hier die Zeit totschlagen, bis das gebuchte Flugzeug ab Værnes fliegen sollte. Antonio befand sich auf einer ähnlichen Tour wie ich, allerdings in umgekehrter Richtung zu mir. Die Wettervorhersage im Fernsehen war erschütternd... Zeitig zu Bett gegangen, wobei uns der Dritte Zimmergenosse, ein etwa 35jähriger Öschi noch volllaberte, dass er eine Freundin in Trondheim habe, bei der er aber nicht immer wohnen könne, weil sie noch lernen müsse... Es klang verdächtig durch, dass sie nichts mehr von ihm wollte...
Obwohl bis zum Bus nach Være noch eine Menge Zeit war, sah ich zu, dass ich aufbrechen konnte; dies zunächst allerdings nur bis zu einem Parkplatz schräg gegenüber des Vandrerhjems, von wo sich ein wunderschöner Ausblick über die Stadt und den Fjord ergibt. Auch die Trasse der Nordlandsbahn war gut einsehbar. Leider stand ein blöder Kran etwas dominierend im Bilde. Trotzdem einen Triebwagen der Trønderbahn und einen ausfahrenden Lokalgüterzug mit 2x Di8 fotografiert. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es sich um das letzte Sonnenbild für mehrere Tage handeln sollte...
Nun langsam in die Stadt hinabgeschlendert bzw. -geschlittert und zunächst versucht, Geld aufzutreiben. Erstmalig wollte ich die Sparcard der Postbank ausprobieren, die das alte in ganz Europa gültige Postsparbuch abgelöst hat und mit der man angeblich viermal jährlich an Visa-Card-Automaten kostenlos Geld abheben können soll. Nun, von drei getesteten Automaten akzeptierten drei meine Sparcard nicht... Also musste wieder mal die gute alte EC-Karte herhalten. Schnell noch Geld für die Zahlbox des Busses gewechselt (anstelle von Wechselgeld gibt es Gutscheine) und zur Haltestelle "gemacht".
Den Nachmittag über hing ich am Bahnhof herum. Was so öde klingt, war in Wirklichkeit hochinteressant. Zunächst konnte ich in der gut geheizten Bahnhofshalle verschiedenen schriftlichen Kram erledigen, dann näherte sich der nachmittägliche "Knoten". Die Züge aus Mo und Oslo sollten ankommen und nach jeweils einer halben Stunde um 15.20 Uhr wieder zurückfahren. Der Zug von Mo erschien, geführt von einer Di4, sogar relativ pünktlich, fuhr allerdings nicht in das Gleis ein, aus dem der Zug nach Mo starten sollte. Der Ekspresstog von Oslo erschien mit zwanzigminütiger Verspätung. Dann tat sich lange Zeit gar nichts.
Zur Abfahrtszeit beider Züge war der Bahnsteig schwarz von Menschen (schließlich war Freitag, und zwar ein besonderer, was ich aber noch immer nicht kapiert hatte...), doch der Ekspress war noch zur Innenreinigung verschlossen und der Zug nach Mo noch nichtmal bereitgestellt. Mittlerweile hatte es leicht zu schneien angefangen. Zwei Di3 standen relativ willenlos im Ausfahrbereich herum. Irgendwann kam dann auch der Park des "Ole Tobias" nach Mo, gezogen von einer Di8. Da diese Lok über keine Zugheizung verfügt, musste sie wohl ausgetauscht werden. Sollten da die zwei Di3 ins Spiel kommen? Tatsächlich - So war es dann. Da konnte der Fotoapperat natürlich trotz grauer Wolken nicht in der Tasche bleiben... Die Züge fuhren schließlich mit 25 Minuten Verspätung aus.
Und ich war nicht der einzige, der fotografierte. Zwei norwegische Schüler drückten ebenfalls auf den Auslöser. Wir kamen "zwangsläufig" miteinander ins Gespräch und ich konnte von ihnen manche interessante Dinge erfahren. Leider war ihr "Trønder Platt" furchtbar schwer zu verstehen. Sie meinten, dass die Di3-Doppeltraktionen wohl noch mindestens bis August vor den Containerzügen auf der Nordlandsbahn zum Einsatz kämen. Und dann wieder ab Winter, wenn erste Di8er sich im Gebirge festgefahren haben... Als Mitglied des NJK (Norsk Jernbaneklubben) und mit Warnwesten ausgerüstet sei es möglich, sich mit einem Leerpark in das Bw nach Marienborg abräumen zu lassen. Leider verpassten wir die Abräumung der Wagen aus Mo knapp.
Nun stand noch die Abfahrt des Nachtzuges nach Stockholm (mit Di3) auf dem Programm. Leider dämmerte es zunehmend, so dass keine anständigen Bilder mehr zustande kamen. Interessant war dann noch der spätnachmittägliche Triebwagen nach Røros. Auf dem Bahnsteig standen wahre Massen mit Skiern in den Händen, so dass ich mich schon fragte, wie die denn alle in einen Bm92 hineinpassen sollen. Der Zug erschien dann aber mit zwei Einheiten auf der Bildfläche. So bekam noch jeder seinen Platz. Doch zur Abfahrtzeit tat sich zunächst gar nichts. Und plötzlich stiegen immer mehr Leute aus der zweiten Einheit wieder aus. Als der Bahnsteig wieder voll von ratlosen Menschen war, entdeckte ich eine Qualmwolke, die aus der hinteren Einheit herauskam. So mussten die Leute dann doch alle in eine Einheit hinein. Der Zug verließ den Bahnhof mit +30.
Nun musste ich mal an den morgigen Tag denken. Angesichts der vernichtenden Wettervorhersage (die Zeitungen verwendeten in der Fünf-Tage-Vorhersage für alle Regionen des Landes ausschließlich das schwarze Wolkensymbol...) und des aktuellen Wetters beschloss ich, den Samstag im Zug sitzend zu verbringen und den Tageszug der Nordlandsbahn nach Bodø zu nehmen. Doch da endlich wurde ich Gewahr, dass es sich um einen ganz besonderen Freitag handelte. Die landesweiten Winterferien hatten begonnen! Entsprechend war es mir nicht möglich, den beabsichtigten Zug zu reservieren. Doch nicht nur jener Zug war ausverkauft, sondern auch der Nachtzug, beide Züge nach Schweden rüber und natürlich auch alles, was in Richtung Oslo fahren sollte. Mit anderen Worten: Ich konnte in keinem Trondheim verlassenden Fernzug mehr Platz bekommen...
Gefrustet nahm ich bei Burger King erstmal als Frust-Fraß zwei Hamburger zu mir. Dann marschierte ich wieder den Møllenberg aufwärts. Im dortigen Holzhaus-Wohngebiet machte ich dann noch ein Dämmerungs-Bild von der imposant auf einer Hügelspitze thronenden Møllenbergskole. Hier fehlte wieder ein Stativ...
Gerade hatte ich mich gedanklich damit abgefunden, in Trondheim noch eine Nacht länger bleiben zu müssen, da teilte mir der Rezeptionist mit, dass die morgige Nacht völlig ausgebucht sei. Grrrmpf! Nun ja, trotzdem mit den anderen von gestern wieder im TV-Raum zusammengefunden und gequatscht. Später gab es dann noch einen James Bond in der Glotze. Immerhin passten die Winterszenen und einige nette Ski-Aufnahmen zur Jahreszeit...
Hinter Verdal brauchte ich allerdings den Platz nicht mehr zu wechseln. Ich hatte nun einen wunderbaren Fensterplatz ohne Nebenmann, von dem aus ich einen perfekten Ausblick in die geniale Winterwelt hatte. Sobald die Strecke etwas vom Fjord weg in die Höhe führte, nahm die Schneehöhe rapide zu. Der Zug wirbelte den frischen Schnee gewaltig auf, so dass man manchmal nur weiße Wolken am Fenster vorbei fliegen sah. Die Hecktür war mittlerweile vom Flugschnee völlig vereist. In Grong wagte ich, den entgegen kommenden "Ole Tobias" vom Bahnsteig aus zu fotografieren. Schließlich konnte ich mir denken, dass er mit seinen zwei Di3ern, mit denen er gestern nordwärts gefahren war, wieder zurückkäme.
Und weiter aufwärts ging es auf einer der abwechslungsreichsten Strecken Europas. Für genauere Landschaftsbeschreibungen siehe die ebenfalls im Archiv vorhandene Streckenbeschreibung und den Reisebericht über eine Fahrt im Tageszug der Nordlandsbahn. Wir fuhren durch eine aufgelassene Station, deren Unterstandshäuschen nur noch mit dem oberen Rand aus dem Schnee hervorschaute. Hinter Majavatn reichte der Schnee auf einigen Abschnitten bis zu den Fenstern des Wagens, in Einschnitten sogar bis zum Wagendach. Auf der benachbarten Straße war kein Auto zu beobachten. Mittlerweile war der Zug längst nicht mehr so voll. Ausgebucht war er wohl nur bis Steinkjer oder Grong. Wunderlicherweise nahm die Schneehöhe bei der Fahrt abwärts zum Vefsnfjord nur minimal ab. In Mosjoen lag deutlich mehr Schnee als in Trondheim.
Der Zug hatte sich in Mosjoen nochmal beträchtlich geleert. Leider war die Oma mit ihrem wild im Wagen herumrennenden Enkel, der durch den ganzen Wagen nach seiner "Bestemor" rief, noch immer mit von der Partie. Die Ausblicke auf die Fjorde waren wunderbar. Der Vefsnfjord war völlig eisfrei. Einige Nebenarme verschwanden jedoch unter einer weißen Eis- und Schneeschicht. Dasselbe galt für den Ranafjord und dessen Nebenarme. In Mo i Rana verließen fast alle Fahrgäste meinen Wagen. Außer mir waren nur noch zwei Reisende anwesend: Die Oma und ihr Balg. Glücklicherweise war die kleine Kanallie eingeschlafen. Schön blöd, denn jetzt begann der interessanteste Abschnitt über das Saltfjell. Mit der Filmmusik aus "The Rock" vom Discman auf den Ohren fiel der Blick aus dem extrem langsam aufwärts kriechenden Zug auf eine unwirkliche winterliche Steppenlandschaft. Die Sicht war nicht besonders gut, so dass oben auf der baumlosen Hochfläche teilweise nur Weiß vor dem Fenster zu sehen war. Gerade so eben waren die Konturen von Polarkreis-Säule und dem Gasthof am Polarkreis auszumachen. Auf der Straße zeigte sich kein Auto.
Erst hinter Lønsdal, wo die Dämmerung eingesetzt hatte und die Bahn hoch über dem Tal am Hang verläuft, konnte ich tief unten in der Wintermärchenwelt einen mit Lichterketten geschmückten LKW ausmachen, der langsam den Anstieg ins Gebirge nahm. Die Szene wirkte wie in der Coca-Cola-Weihnachtswerbung, wo ein langer Treck solcher festlich beleuchteter LKWs durch die Winterlandschaft zieht. Wahrscheinlich habe ich in diesem Moment mit großen Kinderaugen meine Nase an der Scheibe plattgedrückt...
Der Zug fuhr mich direkt bis unter mein Schlafzimmerfenster für die kommende Nacht. Das Vandrerhjem befindet sich in Bodø im Bahnhofsgebäude! Mir schien, dass es sich um ehemalige Personalunterkünfte handelt. Jedenfalls gingen vom Flur viele direkt nebeneinander liegende Türen in kleine Schlafzellen mit je einem Dosto-Bett (Gattung DBWS) ab. Zunächst bekam ich ein Zimmer zur Straßenseite, was von mir natürlich mit entschiedenem Protest quittiert wurde. So verlor ich wertvolle Zeit, denn als ich endlich in meinem zur Bahnseite gelegenen Zimmer angekommen war, die Kamera rausgezogen und in Position gebracht hatte, drückte die Di4 den Zug bereits zum Umsetzen zurück. Sie kehrte anläßlich der Umfahrung allerdings solo nochmal unter mein Fenster zurück. So ganz optimal waren die Fotobedingungen nicht, da sich das Fenster nicht richtig öffnen ließ und ich das Objektiv gegen die Scheibe pressen musste...
Dann habe ich einen kleinen Rundgang gestartet. Zunächst führte mich mein Weg in die Bahnhofshalle, wo ich feststellen musste, dass das Bahnhofsbuffet ausgerechnet Samstag-Abend und Sonntag-Morgen geschlossen hatte. In der Fka fragte ich nach einem schwedischen Fahrplan, um mein weiteres Vorgehen ab Narvik planen zu können, und bekam nur einen veralteten. Der brachte mir überhaupt nichts, da Anfang Januar der Verkehr auf der Erzbahn und verschiedenen anderen wichtigen Fernverbindungen in Schweden von Privatbahnen übernommen worden war. Die bange Frage, ob dort das Scanrail-Ticket überhaupt gelte, gab ich gleich mal an die Frau hinterm Schalter weiter, die daraufhin vor fachlicher Kompetenz nur so strotzte: "Jeg tror ikke" - "Glaub' ich nicht". Woher sollte sie das auch wissen, schließlich liegt Narvik an einer völlig anderen Bahnstrecke... Immerhin gab sie mir die Telefonnummer der Fka Narvik mit dem Hinweis, dass ich dort heute aber wohl nichts mehr würde...
Für's Abendessen fand ich in der Nähe des Bahnhofs ein richtig nettes Restaurant, was ja in Norwegen schon etwas ungewöhnlich ist. Zwar musste mich der Kellner (Pakistani oder so), nachdem ich mir gerade einen Platz ausgesucht hatte, unbedingt an einen Einzeltisch setzen, doch ansonsten kann ich mich nicht beklagen. Habe einen leckeren Vestkust-Salat mit Meeresfrüchten gegessen. Das war das einzige "Gericht" mit lokalem Bezug. Preislich dürfte man in einem deutschen Restaurant für die Portion wohl auch 15 DM gezahlt haben.
Zurück in meinem Zimmer konnte ich auf den nun bereitgestellten Nachtzug nach Trondheim hinabschauen. Mittlerweile hatte starker Schneefall eingesetzt. Durch die Scheibe einige Bilder gemacht. Das Schneegestöber kam im Licht der hohen Scheinwerfer besonders gut. Einige Kids hatten inzwischen irgendwo im Haus eine Saturday-Night-Disco gestartet. Wenigstens war die Musik so laut, dass ich nahezu den vollen Sound mitbekam (und nicht nur die Bässe). Und draußen schneite und schneite es. Bevor ich ins Bett ging, war die Schneedecke so hoch geworden, dass der Übergang von Gleis zu Bahnsteig fließend geworden war. Die Rückenlehnen einiger Bänke schauten mit weißer Mütze aus der Schneedecke hervor.