Nordskandinavien Winter 2000 (1)

Copyright by Jan-Geert Lukner

In Ermangelung an Schnee - dieses Jahr war die übliche Graubünden-Tour flach gefallen und von Hamburg erwarte ich bezüglich Schnee sowieso nichts mehr - entschloss ich mich, einfach einen Scanrail-Flexipass zu kaufen (fünf frei wählbare Tage innerhalb eines halben Monats) und mich durch die nordische Winterlandschaft treiben zu lassen. Natürlich hatte ich die Hoffnung, bei schönem Wetter vielleicht auch mal das eine oder andere Foto zu schießen.

Mittwoch, 23. Februar 2000: Hamburg - Nachtzug bei Helsingborg

Es war ein langer Tag gewesen. Zunächst gab es für mich eine Frühschicht in Hannover, wo ich jetzt arbeite. Dort dann gerade noch den ICE um 13.18 Uhr nach Hamburg erreicht, so dass ich bis zum eigentlichen Tourstart in Hamburg immerhin noch anderthalb Stunden Zeit hatte, um die restlichen Sachen zusammen zu packen und zu duschen. Weniger hätte es auch nicht sein dürfen...

EC 37 Hamburg Hbf 17.29 > København 21.59

Der EC 37 war lediglich ein "Kurzzug", also eine einzelne IC3-Einheit der DSB. Nachdem bis Lübeck noch Berufsverkehr herrschte, teilte ich mir danach die Vierersitzgruppe nur noch mit einem Israeli oder so, der aus irgendwelchen Gründen ziemlich am schnaufen war.
Wieder fiel mir die ausgezeichnete dänische Durchsage des deutschen Zugchefs auf. Auf dieser Linie scheinen alle eingesetzten Zubs auch dänisch und englisch zu sprechen. Die Fahrt vertrieb ich mir mit lesen. In Erwartung langer dunkler Abende hatte ich mir zwei Bücher mitgenommen. Zur Zeit hatte ich "Die Kinder von Torremolinos" (James A. Michener) in Arbeit. Und soviel kann ich vorweg nehmen: Bis zum Ende der Reise habe ich nur ganze drei Kapitel geschafft, was allerdings gewiss nicht an der Qualität des Buches lag.

Auf der Fähre aß ich eine Kleinigkeit (Eklige Currywurst mit Pommes, war halt ne dänische Fähre...) und testete, wie lange ich an Deck Handy-Empfang hatte. Das Teil wechselte jedoch ohne Empfangsunterbrechung irgendwann auf einen dänischen Sender. Wunder der Technik!!! Zurück im Zug setzte ich mich in eine freie Vierersitzgruppe. Auf der anderen Seite des Ganges saß ein Öko-Typ mit Vollbart und Cordhose. Er unterhielt sich laut mit einem Kollegen und einem südländisch aussehenden Menschen. Dem Gespräch konnte ich entnehmen, dass er im Bereich Alternative Energien tätig sei und darüber einfach alles wusste und zu jeder Frage seine feste Meinung hatte. Der Südländer schaute ihn jedenfalls die ganze Zeit mit begeistertem "Boa ey"-Blick an. Immerhin war das Gespräch (bzw. der Monolog) so interessant, dass ich mein Buch erstmal zur Seite legte. Die geplanten Offshore-Windparks -so erfuhr ich- würden aufgrund schädlicher akustischer Emissionen ganze Fischschwärme durcheinander bringen können. Na, wenn ich in der Leine mal einen Schwarm Delfine sehe, weiß ich jedenfalls den Grund...

INN 380 København 22.05 > Oslo S 07.10-10

Der Nachtzug brachte dann eine völlig neue Erfahrung mit sich: Ich hatte ein eigenes T3-Abteil! Da störte es mich auch nicht sonderlich, dass die Nachbarabteile durch eine Reisegruppe in Beschlag genommen waren, deren Teilnehmer zunächst auf dem Flur feucht-fröhlich gefeiert haben. Auf der "Tycho Brahe", der Fähre über den Öresund, bin ich sowieso nochmal an Deck gegangen. Es ist immer wieder ein genialer Anblick, vom Sund auf die Lichter von Helsingborg zu schauen. In Helsingborg wurden die Zugteile nach Stockholm und Oslo getrennt. Der Stockholmer Teil hatte noch eine längere Standzeit vor sich. Die Reisegruppe wurde nach Abfahrt in Helsingborg dann auch schnell ruhig, so dass ich wunderbar schlafen konnte.

Donnerstag, 24. Februar 2000: Nachtzug bei Helsingborg - Trondheim

Am anderen Ende der Nacht hatte sich die Landschaft deutlich verändert. Nicht nur die felsige Landschaft Norwegens mit den bunten Holzhäusern fiel mir auf (die kannte ich ja schon...), sondern die Tatsache, dass die Landschaft weiß war! Hier in Südnorwegen lag schon eine geschlossene Schneedecke. In Oslo musste ich allerdings feststellen, dass die Temperatur eher über dem Gefrierpunkt lag und der nun einsetzende Niederschlag sich als widerlicher Schneeregen, in Norwegen einfach als "Sludd" bezeichnet, entpuppte. Nun ja, lange musste ich mich hier zum Glück nicht aufhalten. Es gab im morgendlichen Berufsverkehr einiges zu beobachten. Einer der Pendlerzüge war von einer der dunkelgrünen Flåmsbane-Loks nach Oslo gezogen worden. Spätestens jetzt merkte ich, dass man im Winter nicht ohne Stativ nach Norwegen reist, wenn man irgendwelche Foto-Ambitionen hat...

Et 41 Oslo 08.19 > Trondheim 14.50+30

Die Fahrt im Et 41 verlief sehr angenehm. Die Reservierung verwies mich zu einem erstaunlich guten Fensterplatz. Zwar tauchte dann die obligatorische Mutter mit Quängelbaby auf, doch hielt sich das Geschrei stark in Grenzen. Ärgerlicher (aber nicht schlimm) war, dass ich fast die ganze Zeit jemanden neben mir sitzen hatte. Auf einem Abschnitt war es ein Mädel mit kupfern gefärbtem Haar. So liefen sie jetzt alle in Norwegen rum. Na ja, solage das Haar kein Grünspan ansetzt...

Und die Fahrt durch die Winterwelt war jedenfalls eindrucksvoll. Dass schon in Oslo so viel Schnee liegen würde, hatte ich nicht erwartet. Und beim Aufstieg ins Dovrefjell fuhren wir teilweise in dichte graue Schneewolken hinein, die finster im Gudbrandsdalen hingen. Das letzte Stück aufwärts ging es im Bummeltempo. Wie ich dann im bereits auf der Hochebene gelegenen Ausweichbahnhof Fokstua sehen konnte, hatte vor uns ein Räum-Skl die Strecke "gefegt". So entstand jedenfalls ein beträchtlicher Teil der dreißigminütigen Verspätung. Auf dem Fjell selbst und dahinter schien dann allerdings größtenteils die Sonne. Einige weiße Bergkuppen wurden genial vor dunklen Schneewolken angestrahlt. Als wir in Trondheim eintrafen, war der Bahnsteig schwarz von Menschen. Der Wagenpark sollte inzwischen nämlich schon wieder die Rückreise angetreten haben...

Vom Bahnhof aus im Vandrerhjem nachgefragt, ob denn noch Platz wäre, und nach einem positiven Bescheid eine kleine Motiv-Erkundungstour entlang des Fjordes gemacht. Wenn das Wetter nämlich morgen ähnlich wäre, würde ich glatt paar Streckenaufnahmen am verschneiten Ufer des Fjordes machen (z.B. mit dem Di3-bespannten Schwedenzug).

Lt 1719 Trondheim 15.30 > Stjørdal 16.12

Lt 444 Stjørdal 16.12+15 > Trondheim 16.51+15

Die Verteilung der Trønderbahn-Stationen war etwas merkwürdig. Einige größere Orte hatten gar keine Station, dafür hielt der Zug dann teilweise irgendwo in der Pampa. In Stjørdal gelang mir dann sogar ein Sonnenbild vom Bm92. Immerhin... Für den morgigen Tag hatte ich mir jedenfalls ein schönes Motiv bei Ranheim ausgesucht. Ranheim ist einer dieser Orte ohne Verkehrshalt der Trønderbahn. Doch am Bahnhof erfuhr ich, wie man mit dem Bus dorthin gelangen konnte. Nun durch die Stadt und auf der anderen Seite des Nidelven durch das wunderschöne Holzhaus-Viertel am Møllenberg aufwärts gestiefelt. Dabei hatte ich irgendwie eine falsche Abzweigung erwischt, so dass ich das Viertel besonders gut kennen lernte...

Nach einem kurzen Einkaufsbummel im Supermarkt ergab sich im Fernsehraum des Vandrerhjems einer dieser schönen Abende, an denen man sich mit wildfremden Leuten über Gott und die Welt unterhält. Neben Antonio, einem Schweizer aus meinem Vierbettzimmer, waren noch zwei Deutsche aus Köln und eine Norwegerin dabei. Die beiden Kölner mussten nach einer früher als geplant fertig gewordenen Geologie-Exkursion hier die Zeit totschlagen, bis das gebuchte Flugzeug ab Værnes fliegen sollte. Antonio befand sich auf einer ähnlichen Tour wie ich, allerdings in umgekehrter Richtung zu mir. Die Wettervorhersage im Fernsehen war erschütternd... Zeitig zu Bett gegangen, wobei uns der Dritte Zimmergenosse, ein etwa 35jähriger Öschi noch volllaberte, dass er eine Freundin in Trondheim habe, bei der er aber nicht immer wohnen könne, weil sie noch lernen müsse... Es klang verdächtig durch, dass sie nichts mehr von ihm wollte...

Freitag, 25. Februar 2000: Trondheim - Være - Trondheim

Eigentlich passte alles ausgezeichnet. Der Blick fiel beim Aufwachen auf blauen Himmel und die beiden Di3-bespannten Schwedenzüge, um die es mir hauptsächlich ging, fuhren erst am späten Vormittag. So war also noch jede Menge Zeit, um in Ruhe zu frühstücken. Unruhig wurde ich eigentlich erst, als ich vom Frühstückstisch aus tief unten in der Stadt den Dagtog der Nordlandsbahn abfahren sah. Dabei wurde er bestens von der Sonne angestrahlt...

Obwohl bis zum Bus nach Være noch eine Menge Zeit war, sah ich zu, dass ich aufbrechen konnte; dies zunächst allerdings nur bis zu einem Parkplatz schräg gegenüber des Vandrerhjems, von wo sich ein wunderschöner Ausblick über die Stadt und den Fjord ergibt. Auch die Trasse der Nordlandsbahn war gut einsehbar. Leider stand ein blöder Kran etwas dominierend im Bilde. Trotzdem einen Triebwagen der Trønderbahn und einen ausfahrenden Lokalgüterzug mit 2x Di8 fotografiert. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es sich um das letzte Sonnenbild für mehrere Tage handeln sollte...

Nun langsam in die Stadt hinabgeschlendert bzw. -geschlittert und zunächst versucht, Geld aufzutreiben. Erstmalig wollte ich die Sparcard der Postbank ausprobieren, die das alte in ganz Europa gültige Postsparbuch abgelöst hat und mit der man angeblich viermal jährlich an Visa-Card-Automaten kostenlos Geld abheben können soll. Nun, von drei getesteten Automaten akzeptierten drei meine Sparcard nicht... Also musste wieder mal die gute alte EC-Karte herhalten. Schnell noch Geld für die Zahlbox des Busses gewechselt (anstelle von Wechselgeld gibt es Gutscheine) und zur Haltestelle "gemacht".

Bus 6 Trondheim, Nova Kinocenter 10.26 > Ranheim, Klokkerplatsen 10.39+6

Die Straßen machten einen recht glatten Eindruck. Sie waren zwar geräumt, aber nicht gestreut worden. Der Bus hatte aber keine Probleme. Einen Haltestellenabstand bis Være bin ich dann noch zu fuß geschlittert, da ich zu früh "gebimmelt" hatte. Wunderschöne Motive lagen nun zu meinen Füßen. Die Bahn führt hier direkt am Ufer des Trondheimsfjordes entlang, so dass man auf den Wiesen oberhalb der Bahn ideale Fotostandpunkte hat. Auf einem Fahrweg konnte man parallel zur Bahn wandern und sich den günstigsten Standpunkt aussuchen. ABER: Mittlerweile war eine dicke hochnebelartige Bewölkung aufgezogen, die nur noch dann und wann die Sonne durchließ. So kamen nicht nur die zwei Schwedenzüge, sondern auch die in relativ dichtem Abstand verkehrenden Trønderbahnzüge ausschließlich ohne Sonne durch. Mittags näherte sich dann von der Küste her eine finstere geschlossene Wolkenfront, die das Thema "Sonne" dann endgültig ad acta führte.

Bus 6 Væresletta 12.43 > Trondheim, N.K. 12.57+14

Der Bus war abschnittsweise brechend voll. Die Ranheimer Grundschule hatte gerade "Feierabend". Und nicht nur das, doch weiteres sollte ich erst am späten Abend kapieren... Die doch etwas größeren Verspätungen des Busses resultierten jedoch in erster Linie daraus, dass auf den Fahrplänen nur die Abfahrtszeit der Starthaltestelle angegeben war und dann nur die frühestmögliche Ankunftzeit an den Folgehaltestellen.

Den Nachmittag über hing ich am Bahnhof herum. Was so öde klingt, war in Wirklichkeit hochinteressant. Zunächst konnte ich in der gut geheizten Bahnhofshalle verschiedenen schriftlichen Kram erledigen, dann näherte sich der nachmittägliche "Knoten". Die Züge aus Mo und Oslo sollten ankommen und nach jeweils einer halben Stunde um 15.20 Uhr wieder zurückfahren. Der Zug von Mo erschien, geführt von einer Di4, sogar relativ pünktlich, fuhr allerdings nicht in das Gleis ein, aus dem der Zug nach Mo starten sollte. Der Ekspresstog von Oslo erschien mit zwanzigminütiger Verspätung. Dann tat sich lange Zeit gar nichts.

Zur Abfahrtszeit beider Züge war der Bahnsteig schwarz von Menschen (schließlich war Freitag, und zwar ein besonderer, was ich aber noch immer nicht kapiert hatte...), doch der Ekspress war noch zur Innenreinigung verschlossen und der Zug nach Mo noch nichtmal bereitgestellt. Mittlerweile hatte es leicht zu schneien angefangen. Zwei Di3 standen relativ willenlos im Ausfahrbereich herum. Irgendwann kam dann auch der Park des "Ole Tobias" nach Mo, gezogen von einer Di8. Da diese Lok über keine Zugheizung verfügt, musste sie wohl ausgetauscht werden. Sollten da die zwei Di3 ins Spiel kommen? Tatsächlich - So war es dann. Da konnte der Fotoapperat natürlich trotz grauer Wolken nicht in der Tasche bleiben... Die Züge fuhren schließlich mit 25 Minuten Verspätung aus.

Und ich war nicht der einzige, der fotografierte. Zwei norwegische Schüler drückten ebenfalls auf den Auslöser. Wir kamen "zwangsläufig" miteinander ins Gespräch und ich konnte von ihnen manche interessante Dinge erfahren. Leider war ihr "Trønder Platt" furchtbar schwer zu verstehen. Sie meinten, dass die Di3-Doppeltraktionen wohl noch mindestens bis August vor den Containerzügen auf der Nordlandsbahn zum Einsatz kämen. Und dann wieder ab Winter, wenn erste Di8er sich im Gebirge festgefahren haben... Als Mitglied des NJK (Norsk Jernbaneklubben) und mit Warnwesten ausgerüstet sei es möglich, sich mit einem Leerpark in das Bw nach Marienborg abräumen zu lassen. Leider verpassten wir die Abräumung der Wagen aus Mo knapp.

Nun stand noch die Abfahrt des Nachtzuges nach Stockholm (mit Di3) auf dem Programm. Leider dämmerte es zunehmend, so dass keine anständigen Bilder mehr zustande kamen. Interessant war dann noch der spätnachmittägliche Triebwagen nach Røros. Auf dem Bahnsteig standen wahre Massen mit Skiern in den Händen, so dass ich mich schon fragte, wie die denn alle in einen Bm92 hineinpassen sollen. Der Zug erschien dann aber mit zwei Einheiten auf der Bildfläche. So bekam noch jeder seinen Platz. Doch zur Abfahrtzeit tat sich zunächst gar nichts. Und plötzlich stiegen immer mehr Leute aus der zweiten Einheit wieder aus. Als der Bahnsteig wieder voll von ratlosen Menschen war, entdeckte ich eine Qualmwolke, die aus der hinteren Einheit herauskam. So mussten die Leute dann doch alle in eine Einheit hinein. Der Zug verließ den Bahnhof mit +30.

Nun musste ich mal an den morgigen Tag denken. Angesichts der vernichtenden Wettervorhersage (die Zeitungen verwendeten in der Fünf-Tage-Vorhersage für alle Regionen des Landes ausschließlich das schwarze Wolkensymbol...) und des aktuellen Wetters beschloss ich, den Samstag im Zug sitzend zu verbringen und den Tageszug der Nordlandsbahn nach Bodø zu nehmen. Doch da endlich wurde ich Gewahr, dass es sich um einen ganz besonderen Freitag handelte. Die landesweiten Winterferien hatten begonnen! Entsprechend war es mir nicht möglich, den beabsichtigten Zug zu reservieren. Doch nicht nur jener Zug war ausverkauft, sondern auch der Nachtzug, beide Züge nach Schweden rüber und natürlich auch alles, was in Richtung Oslo fahren sollte. Mit anderen Worten: Ich konnte in keinem Trondheim verlassenden Fernzug mehr Platz bekommen...

Gefrustet nahm ich bei Burger King erstmal als Frust-Fraß zwei Hamburger zu mir. Dann marschierte ich wieder den Møllenberg aufwärts. Im dortigen Holzhaus-Wohngebiet machte ich dann noch ein Dämmerungs-Bild von der imposant auf einer Hügelspitze thronenden Møllenbergskole. Hier fehlte wieder ein Stativ...

Gerade hatte ich mich gedanklich damit abgefunden, in Trondheim noch eine Nacht länger bleiben zu müssen, da teilte mir der Rezeptionist mit, dass die morgige Nacht völlig ausgebucht sei. Grrrmpf! Nun ja, trotzdem mit den anderen von gestern wieder im TV-Raum zusammengefunden und gequatscht. Später gab es dann noch einen James Bond in der Glotze. Immerhin passten die Winterszenen und einige nette Ski-Aufnahmen zur Jahreszeit...

Samstag, 26. Februar 2000: Trondheim - Bodø

Diesmal hatte ich das Zimmer für mich allein gehabt. So konnte ich gut schlafen und der Gedanke, dass mich heute niemand haben wollte (schnief!!!), bestärkte mich nur darin, genau das Geplante durchzuziehen. Nach einem zu entspannten Frühstück auf den Straßen (die Gehwege waren nämlich spiegelglatt) hinabgeglitscht und zum Tageszug der Nordlandsbahn gehetzt. Wohlwollend konnte ich schon mal feststellen, dass als letzter Wagen ein herkömmlicher 2.Kl-Wagen eingereiht war, der mir schon mal einen schönen Blick aus der Hecktür ermöglichen würde. Vom Gepäck konnte ich mich weitestgehend befreien, da die norwegischen Wagen eine gemeinschaftliche Gepäck-Ecke besitzen. Und meine Jacke konnte ich an die Garderobe hängen.

Dt 471 Trondheim 08.32 > Bodø 18.50

Im Vorraum an der Hecktür klebte ein Aufkleber (im neuesten NSB-Design), der dem Reisenden erläuterte, in welchen Fällen er sofort dem Zugpersonal Bescheid sagen sollte. Ein Beispiel war "bei einer Entgleisung"... Den jungen Konduktør brauchte ich nicht bezüglich eines Sitzplatzes anzusprechen. Er war sofort zur Stelle, um mir einen Platz zuzuweisen. Dies allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht sehen könne, ob unterwegs jemand vielleicht nach Abfahrt des Zuges von Trondheim eine Reservierung vorgenommen habe. So musste ich zu Anfang der Fahrt zweimal den Platz räumen, doch jedesmal war der Zub sofort zur Stelle, um mir verschiedene Plätze zur Auswahl anzubieten, die ich mir auf seiner Liste der Platzbesetzungen (hier trägt er mit Bleistift ein, von wo bis wo jeder Platzinhaber reist und welche Anschlüsse er ggf. braucht; daher entfällt in norwegischen Fernzügen grundsätzlich das "Hier noch zugestiegen?"/"Nye reisende?") aussuchen konnte. Ein Super-Service!

Hinter Verdal brauchte ich allerdings den Platz nicht mehr zu wechseln. Ich hatte nun einen wunderbaren Fensterplatz ohne Nebenmann, von dem aus ich einen perfekten Ausblick in die geniale Winterwelt hatte. Sobald die Strecke etwas vom Fjord weg in die Höhe führte, nahm die Schneehöhe rapide zu. Der Zug wirbelte den frischen Schnee gewaltig auf, so dass man manchmal nur weiße Wolken am Fenster vorbei fliegen sah. Die Hecktür war mittlerweile vom Flugschnee völlig vereist. In Grong wagte ich, den entgegen kommenden "Ole Tobias" vom Bahnsteig aus zu fotografieren. Schließlich konnte ich mir denken, dass er mit seinen zwei Di3ern, mit denen er gestern nordwärts gefahren war, wieder zurückkäme.

Und weiter aufwärts ging es auf einer der abwechslungsreichsten Strecken Europas. Für genauere Landschaftsbeschreibungen siehe die ebenfalls im Archiv vorhandene Streckenbeschreibung und den Reisebericht über eine Fahrt im Tageszug der Nordlandsbahn. Wir fuhren durch eine aufgelassene Station, deren Unterstandshäuschen nur noch mit dem oberen Rand aus dem Schnee hervorschaute. Hinter Majavatn reichte der Schnee auf einigen Abschnitten bis zu den Fenstern des Wagens, in Einschnitten sogar bis zum Wagendach. Auf der benachbarten Straße war kein Auto zu beobachten. Mittlerweile war der Zug längst nicht mehr so voll. Ausgebucht war er wohl nur bis Steinkjer oder Grong. Wunderlicherweise nahm die Schneehöhe bei der Fahrt abwärts zum Vefsnfjord nur minimal ab. In Mosjoen lag deutlich mehr Schnee als in Trondheim.

Der Zug hatte sich in Mosjoen nochmal beträchtlich geleert. Leider war die Oma mit ihrem wild im Wagen herumrennenden Enkel, der durch den ganzen Wagen nach seiner "Bestemor" rief, noch immer mit von der Partie. Die Ausblicke auf die Fjorde waren wunderbar. Der Vefsnfjord war völlig eisfrei. Einige Nebenarme verschwanden jedoch unter einer weißen Eis- und Schneeschicht. Dasselbe galt für den Ranafjord und dessen Nebenarme. In Mo i Rana verließen fast alle Fahrgäste meinen Wagen. Außer mir waren nur noch zwei Reisende anwesend: Die Oma und ihr Balg. Glücklicherweise war die kleine Kanallie eingeschlafen. Schön blöd, denn jetzt begann der interessanteste Abschnitt über das Saltfjell. Mit der Filmmusik aus "The Rock" vom Discman auf den Ohren fiel der Blick aus dem extrem langsam aufwärts kriechenden Zug auf eine unwirkliche winterliche Steppenlandschaft. Die Sicht war nicht besonders gut, so dass oben auf der baumlosen Hochfläche teilweise nur Weiß vor dem Fenster zu sehen war. Gerade so eben waren die Konturen von Polarkreis-Säule und dem Gasthof am Polarkreis auszumachen. Auf der Straße zeigte sich kein Auto.

Erst hinter Lønsdal, wo die Dämmerung eingesetzt hatte und die Bahn hoch über dem Tal am Hang verläuft, konnte ich tief unten in der Wintermärchenwelt einen mit Lichterketten geschmückten LKW ausmachen, der langsam den Anstieg ins Gebirge nahm. Die Szene wirkte wie in der Coca-Cola-Weihnachtswerbung, wo ein langer Treck solcher festlich beleuchteter LKWs durch die Winterlandschaft zieht. Wahrscheinlich habe ich in diesem Moment mit großen Kinderaugen meine Nase an der Scheibe plattgedrückt...

Der Zug fuhr mich direkt bis unter mein Schlafzimmerfenster für die kommende Nacht. Das Vandrerhjem befindet sich in Bodø im Bahnhofsgebäude! Mir schien, dass es sich um ehemalige Personalunterkünfte handelt. Jedenfalls gingen vom Flur viele direkt nebeneinander liegende Türen in kleine Schlafzellen mit je einem Dosto-Bett (Gattung DBWS) ab. Zunächst bekam ich ein Zimmer zur Straßenseite, was von mir natürlich mit entschiedenem Protest quittiert wurde. So verlor ich wertvolle Zeit, denn als ich endlich in meinem zur Bahnseite gelegenen Zimmer angekommen war, die Kamera rausgezogen und in Position gebracht hatte, drückte die Di4 den Zug bereits zum Umsetzen zurück. Sie kehrte anläßlich der Umfahrung allerdings solo nochmal unter mein Fenster zurück. So ganz optimal waren die Fotobedingungen nicht, da sich das Fenster nicht richtig öffnen ließ und ich das Objektiv gegen die Scheibe pressen musste...

Dann habe ich einen kleinen Rundgang gestartet. Zunächst führte mich mein Weg in die Bahnhofshalle, wo ich feststellen musste, dass das Bahnhofsbuffet ausgerechnet Samstag-Abend und Sonntag-Morgen geschlossen hatte. In der Fka fragte ich nach einem schwedischen Fahrplan, um mein weiteres Vorgehen ab Narvik planen zu können, und bekam nur einen veralteten. Der brachte mir überhaupt nichts, da Anfang Januar der Verkehr auf der Erzbahn und verschiedenen anderen wichtigen Fernverbindungen in Schweden von Privatbahnen übernommen worden war. Die bange Frage, ob dort das Scanrail-Ticket überhaupt gelte, gab ich gleich mal an die Frau hinterm Schalter weiter, die daraufhin vor fachlicher Kompetenz nur so strotzte: "Jeg tror ikke" - "Glaub' ich nicht". Woher sollte sie das auch wissen, schließlich liegt Narvik an einer völlig anderen Bahnstrecke... Immerhin gab sie mir die Telefonnummer der Fka Narvik mit dem Hinweis, dass ich dort heute aber wohl nichts mehr würde...

Für's Abendessen fand ich in der Nähe des Bahnhofs ein richtig nettes Restaurant, was ja in Norwegen schon etwas ungewöhnlich ist. Zwar musste mich der Kellner (Pakistani oder so), nachdem ich mir gerade einen Platz ausgesucht hatte, unbedingt an einen Einzeltisch setzen, doch ansonsten kann ich mich nicht beklagen. Habe einen leckeren Vestkust-Salat mit Meeresfrüchten gegessen. Das war das einzige "Gericht" mit lokalem Bezug. Preislich dürfte man in einem deutschen Restaurant für die Portion wohl auch 15 DM gezahlt haben.

Zurück in meinem Zimmer konnte ich auf den nun bereitgestellten Nachtzug nach Trondheim hinabschauen. Mittlerweile hatte starker Schneefall eingesetzt. Durch die Scheibe einige Bilder gemacht. Das Schneegestöber kam im Licht der hohen Scheinwerfer besonders gut. Einige Kids hatten inzwischen irgendwo im Haus eine Saturday-Night-Disco gestartet. Wenigstens war die Musik so laut, dass ich nahezu den vollen Sound mitbekam (und nicht nur die Bässe). Und draußen schneite und schneite es. Bevor ich ins Bett ging, war die Schneedecke so hoch geworden, dass der Übergang von Gleis zu Bahnsteig fließend geworden war. Die Rückenlehnen einiger Bänke schauten mit weißer Mütze aus der Schneedecke hervor.

Fortsetzung

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