Nordskandinavien Winter 2000 (2)

Copyright by Jan-Geert Lukner

Sonntag, 27. Februar 2000: Bodø - Narvik - Abisko

Kurz vor dem Wecker bin ich aufgewacht. Leider klebten an der Fensterscheibe nun haufenweise Schnee-/Eisklumpen, so dass ich die Schneesituation nach dem heftigen Niederschlag der vergangenen Nacht nicht vom Zimmer aus fotografieren konnte. Und da es nun etwas pressierte, konnte ich auch auf dem Bahnsteig kein Foto mehr machen. Als ich hinaustrat, stellte ich fest, dass der Niederschlag noch nicht zuende war. Es goss nämlich in Strömen... Der Weg zum Busbahnhof über die eher weniger als mehr geräumten Gehwege waren nun mit knöcheltiefem Schneematsch bedeckt. Glücklicherweise gab es an diesem Sonntag-Morgen kaum Straßenverkehr, so dass man auf den Straßen durch die weniger hohe Pampe waten konnte. Überhaupt haben die Norweger so ihre eigene Filosophie, was den Winterdienst angeht. Gestreute Straßen habe ich kaum gesehen. Ein Autofahrer kann froh sein, wenn nicht all zu viel Schnee seit der letzten Räumung auf die Fahrbahn gefallen ist. Wo in Deutschland bereits das große Gepöbel wegen mangelnder Räumung einsetzt, passt der Norweger anscheinend einfach seine Fahrweise an, was allerdings nicht immer möglich ist, wie ich auf der folgenden Busfahrt sehen konnte...

Bus Bodø 07.40 > Narvik 14.15

Die Busfahrt kostete mit Scanrail immerhin noch 45 DM (halber Preis!). Ich hatte einen Platz mit optimalem Überblick in der zweiten Reihe und konnte später sogar in Reihe 1 vorrücken. Vorsichtig steuerte der Fahrer den großen weißen Bus durch die widerliche Pampe, wobei er um die uns vereinzelt an diesem frühen Sonntagmorgen begegnenden Passanten große Bögen fuhr, um sie nicht nass zu spritzen. Es kam allerdings von keinem Passanten eine Dankesgeste; da war sie wieder, die typisch norwegische Muffeligkeit...

Streckenweise ging es nun parallel zum Trassé der Nordlandsbahn entlang, deren Schienen unter dem dicken Neuschnee allerdings kaum auszumachen waren. Trotz des trüben Morgens juckte es mich ja fast in den Fingern, hier auszusteigen und den ersten Zug des Tages beim Befahren des weißen Teppichs zu fotografieren. Glücklicherweise fiel mir rechtzeitig ein, dass ich das ja sogar ohne großes zeitliches Opfer im Bahnhof Fauske tun konnte, da der Bus dort die Ankunft des Nachtzuges aus Trondheim abwarten würde. Das tat ich dann nach einem kurzen Frühstück im Bahnhofsbuffet auch. Unten im Ort Fauske stiegen drei Jugendliche stockbesoffen in den Bus, die offenbar hier in der "City" die Nacht zum Tage gemacht hatten und nun auf dem Wege ins heimatliche Dorf waren. Es gibt also tatsächlich Nachtleben in Fauske, wer hätte das für möglich gehalten. Vielleicht hatten sie mit Klassenkameraden den Ferienbeginn gefeiert...

Die Busfahrt war einfach imposant. Wunderschön schlängelt sich die E6 zwischen den senkrecht aufsteigenden Felsen und Bergen und um Seen und Fjorde herum. Streckenweise folgt ein Tunnel dem anderen. Da taucht links von einem hinter einem See eine Hängebrücke auf, die sich gewagt von einer Felswand zur anderen über einen Seearm schwingt und hinter dem nächsten Tunnel befindet man sich plötzlich auf derselben. Mit der Zeit verlor ich jegliche Orientierung. Verläßt die Straße einen Fjord und steigt in die Berge an, sieht man bald von irgendeinem Grat den nächsten Fjord vor sich, an dem es dann wieder einige Kilometer entlanggeht. Die Straße war stellenweise extrem vereist. In höheren Lagen hingegen befand sich eine geschlossene Schneedecke auf der Fahrbahn. Einmal kam uns eine Frau entgegen, die uns mit einem Warndreieck zuwinkte. Ein Stück später standen in einer Mulde drei Autos willenlos beieinander, die offenbar auf der spiegelglatten Fahrbahn den Berg hinab geglitscht waren.

Die markanten weiß und grau gefärbten kahlen Bergformationen sahen teilweise aus wie Eisberge. Wir fuhren durch eine unwirkliche Szenerie. Das Weiß der Berge war deutlich heller als die uns umgebenden dunklen Wolken, die besonders bei Blick in südwestliche Richtung bedrohlich aussahen. Nach einem Kaffeestop in Innhavet querten wir den Tysfjord auf einer Fähre. Hier hatte ich endlich mal die Gelegenheit die unwirkliche Bergszenerie fotografisch festzuhalten. Den herrlichsten Anblick der Reise konnte ich dann allerdings wieder nur durch die Scheibe des Busses beobachten. Zwei sehr markante gleißend weiße Bergkegel zwischen den schwarzen Wassern eines Fjordes und den schwarzen Wolken. Vor dem Weiß des Berges hob sich die Silhouette einer riesigen, kühn geschwungenen Hängebrücke ab, die wir kurz vorher passiert hatten. Ein letztes Mal querte der Bus einen dieser Bergrücken, um kurze Zeit später hinab an den Fjord zu führen, an dem Narvik liegt. Die letzte Stunde war angebrochen, und bald konnte das Fahrziel in der Ferne ausgemacht werden.

Als wir in Narvik direkt vor dem Bahnhof vorgefahren waren (der alte Busbahnhof war einem neuen Einkaufszentrum gewichen), fuhr gerade ein mit einer braunen Erzlok (Dm3) bespannter Erzzug aus. Als wenn seit meinem letzten Aufenthalt die Zeit stehen geblieben wäre. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass es keine dieser Drillingsloks in der alten braunen Farbgebung mehr gäbe... Nachdem ich am Schalter erfahren hatte, dass die Tågkompaniet sehr wohl die Scanrail-Tickets anerkennt, legte ich mein letztes norwegisches Geld im Bahnhofsrestaurant in einem Rentier mit Kartoffeln und Gemüsebeilage an (endlich mal norwegische Küche; Ren-Fleisch ist echt lecker!). Dann in der Stadt in einem der auch Sonntags geöffneten Storkioske (man könnte auch sagen "Mini-Supermarkt") paar Kekse für den Abend besorgt. Wer weiß, ob ich in Abisko etwas zu beißen bekäme...

TK-Zug 93 Narvik 15.50 > Abisko Touriststation 17.19

Für dieses kurze Stück habe ich trotz Anerkennung des Scanrail doch lieber bezahlt, da ich sonst mit meinen Geltungstagen nicht hingekommen wäre.

Irrte ich oder wirkte der Rombakksfjord im Winterkleid noch wesentlich eindrucksvoller als im Sommer? Jedenfalls hob sich das Schwarz der Bahntrasse hoch über dem finsteren Fjord hervorragend von den kahlen weißen Berghängen ab. An einer Stelle im Gebirge wirbelte der Wind regelrecht den Schnee auf, um ihn einer Gischt gleich hinab in den Fjord zu pusten. In Katterat und Vassijaure hatten wir Kreuzung mit Erzzügen und in Björnfjell kam ein mit der grünen Rc bespannter Personenzug entgegen. Diese grüne Rc-Lok tauchte in letzter Zeit häufig in den Presseinformationen der Tågkompaniet auf; sie war beklebt mit sämtlichen Namen von an den TK-Strecken gelegenen Stationen. Wo ich sie nun gesehen hatte, konnte ich mir ausrechnen, dass ich sie morgen mehrmals sehen würde (auch als Zuglok für meinen Zug nach Boden).

Im Touristhotel Abisko musste ich, da der JH-Teil noch nicht geöffnet hatte, ein Einzelzimmer nehmen. Dafür wurden mir 335 SEK abgeknöpft, was mich bei entsprechender Bequemlichkeit nicht gestört hätte. Doch das Zimmer wurde nicht so richtig warm, die Steckdosen im Zimmer funktionierten nicht und es gab nur Etagendusche/WC. Allerdings hatte ich dann doch keine Lust, den Raum nochmal zu wechseln.

Ansonsten war ich mega-froh, hier ausgestiegen zu sein. In der späten Dämmerung / Dunkelheit unternahm ich einen Spaziergang durch die einsame Winterwelt vorbei am Eingangsportal des Kungsleden (Schwedens "Nationalwanderweg") zur Talstation der Seilbahn. Während in Riksgränsen und Björkliden schon ordentlich Wintersportbetrieb herrschte, war hier noch absolut "tote Hose". Das Hotel hatte auch gerade erst dieses Wochenende geöffnet. Durch das Tor auf den Kungsleden führte lediglich eine vereinsamte Skispur. Oben auf dem Hügel bei der Talstation war ich dann völlig allein. Wenn nicht gerade ein Auto unten auf der Straße vorüberfuhr, hörte man hier nur eine tiefe Stille, die man sonst nirgends mehr erleben kann. Da verursachte schon eine vom Baum fallende Schneeladung einen gewaltigen Lärm... Die Sicht durch den nun wieder zunehmenden Schneefall hindurch reichte gerade, um weit unter einem die weiße Fläche des Torneträsk, eines mehrere Kilometer langen Sees, auszumachen. Von oben und auf dem Rückweg am Haltepunkt konnte ich die Vorbeifahrt von Erzzügen erleben. Zurück im "Hotel" habe ich mich für Dienstag bei Ingrid (meine Cousine) und Dietmar in Göteborg angemeldet.

Montag, 28. Februar 2000: Abisko - Boden - Nachtzug bei Långsele

Nach einigen Abschnitten aus den "Kindern von Torremolinos" konnte ich der Stille angemessen tief und fest schlafen. Doch morgens kam die nächste Ernüchterung, die das Hotel Abisko für mich bereit hielt. Von einem Aufenthalt im Sommer her war ich ein gigantisches Frühstücksbuffet gewohnt, doch diesmal gab es angesichts weniger Gäste nur das notwendigste. Die Margarine machte den Eindruck, als ob sie schon mal leicht flüssig gewesen wäre... Nach diesem kulinarischen Hochgenuss gab es im Hpl Touriststation die grüne Rc6 zu fotografieren.

Es schneite "in Strömen". Und ich hatte einen halben Tag Zeit, denn mein Zug fuhr erst um 13 Uhr. So beschloss ich dann, den Winterwanderweg mit den grünen "E10"-Schildern nach Abisko Östra zu gehen. Im dortigen Bahnhof mit dem markanten, für die Erzbahn typischen Empfangsgebäude mit integriertem Umformerturm wollte ich paar Züge trotz oder gerade wegen des dichten Schneegestöbers fotografieren. Die halbwegs geräumte Fahrbahn hatte ich weitestgehend für mich allein. Auf der halbstündigen Wanderung sah ich vielleicht zehn Autos. Eins davon war übrigens ein großer Schneepflug, der mir den Weg freischaufelte... Unterwegs - ich war gerade an einer Stelle mit guter Sicht auf die Bahnstrecke - hörte ich in der winterlichen Stille das ferne Gebimmel des Bahnübergangs am "Ostbahnhof". Nach dem Straßenschneepflug kam nun auch ein Bahnschneepflug durch. Lange mochte ich mich hier nun aber nicht aufhalten, denn ein eisiger Wind begann über das Gebirge zu pfeifen.

Gerade näherte ich mich dem Bahnhof Abisko Östra, da fingen die Bahnübergänge wieder an zu bimmeln. Schnell Kamera gezückt --- gerade noch rechtzeitig, um zwei norwegische El15 in der alten grünen Farbgebung mit einem Erzbomber zu fotografieren. Danach richtete ich mich häuslich im Warteraum des Empfangsgebäudes ein. Schließlich hatte ich immer noch mehrere Stunden Zeit. Rechtzeitig für den Nachtzug von Stockholm begab ich mich in Position, um ihn vor dem Empfangsgebäude zu fotografieren. Die weiß verschneite Spitze des Turms war in dem Schneegestöber und vor den grauen Wolken kaum auszumachen. Als der Bahnübergang zur Zeit des Nachtzuges bimmelte, kam erstmal ein neongelber Arbeits-Schienenbus rein, der offenbar auf der freien Strecke gearbeitet hatte. Dann kam der lange Personenzug. Die Lok musste eine ordentliche Schneefläche zur Seite schaufeln, da sich der Bahnsteig nicht am von den Erzzügen befahrenen Durchgangsgleis befindet. Allerdings war ich schon begeistert, wie reibungslos der Betrieb auf dieser Fernsteuerstrecke ablief. Anscheinend ließen sich die Weichen trotz ordentlicher Schneedecke zuverlässig stellen.

Nach Ausfahrt des Nachtzuges lief ich erstmal zum Supermarkt hinunter, um mich mit verschiedenen Dingen für die bevorstehende zwanzigstündige Zugfahrt einzudecken. Das Thermometer vor dem Geschäft zeigte nur -7°C an. Interessant war dann das Warenangebot in dem für die Winzigkeit des Ortes recht großen Ladens. Es gab schlichtweg alles! Zurück am Bahnhof tat sich erstmal lange Zeit gar nichts, außer dass der Neon-VT wieder ausfuhr.

Doch dann ging es plötzlich los. Der westliche BÜ bimmelte und es näherte sich ein Erzzug von Narvik. Ausfahrt stand nicht, also stand wohl eine Kreuzung bevor. Nun richtig für den Gegenzug positioniert. Doch nur wenige Minuten später bimmelte der westliche BÜ erneut und es näherte sich ein zweiter Erzzug von Narvik! So standen plötzlich zwei Erzloks nebeneinander im Bahnhof von Abisko Östra. Das dürfte so häufig auch nicht vorkommen... Trotz des Schneefalls viele Bilder gemacht und sogar zwischendurch vor Durchfahrt des Gegenzuges einen schnellen Filmwechsel im Warteraum hinbekommen. Das war eine interessante Sache gewesen. Verwundert war ich nur von den dichten Blockabständen, denn die Erzzüge fuhren nach Kreuzung im Abstand von maximal fünf Minuten weiter.

TK-Zug 91 Abisko Östra 13.01+10 > Boden 17.05+25

Eine herrlich-angenehme Fahrt. Soetwas hatte ich in Skandinavien noch nie: Vier Stunden lang ein eigenes Abteil! Überhaupt hatte dieser Zug überdurchschnittlich viele Wagen mit Abteilen. Anscheinend hat TK nicht gerade die modernsten Wagen von der SJ übernommen... Auf der Fahrt durch ein Wintermärchen konnte ich so richtig entspannen und Musik hören oder in den "Kindern von Torremolinos" weiterlesen. Als die Landschaft flacher wurde, tauchte plötzlich ein tagelang nicht gesehenes Naturphänomen auf: Die Sonne! An einigen Stellen wurde unser von der grünen Rc6 geführter Zug in seiner aufstobenden Schneewolke so richtig schön angestrahlt. Da hätte man an der Strecke stehen müssen! Wegen eines vor uns liegengebliebenen Zuges mussten wir vor Gällivare längere Zeit warten. Die Fahrt verging dennoch viel zu schnell!

TK-Zug 79 Boden 17.20+13 > Göteborg 11.52-6

Da ich keine Schlafwagenreservierung hatte, wartete ich zunächst im Gang auf den Zugbetreuer. Dieser verkaufte mir einen Platz in dem nächstbesten Abteil. Wieviel ich mit Scanrail zuzahlen müsste, wusste er nicht. Da wollte er erstmal nachschauen. Als ich die Abteiltür öffnete, schlug mir ein penetranter Alkohol-Gestank vermischt mit kaltem Rauch entgegen. Auf dem unteren Bett lag ein Typ, der mich nur fragte, ob ich das obere Bett nehmen wolle, damit er unten ausgestreckt liegen bleiben könne. Angesichts dieser Umstände (ich wollte mich ja nicht um 18 Uhr bereits oben hinhauen...) bat ich den Zub um ein anderes Abteil. Der Schlafplatz kostete dann 150 SEK Aufpreis (35 DM). Nachdem wir beide seine Besetzungsliste eingehend studiert hatten, fanden wir ein freies T3-Abteil für Herren, in das nur eine Person hineingebucht war, und das auch erst ab Umeå. (Um sich die Kurswagen bis/ab Umeå zu sparen, fährt neuerdings der gesamte Hauptzug die Nebenbahn nach Umeå einmal hin und wieder zurück).

Angesichts dieser langen Zugfahrt beschloss ich, "stilvoll" im Speisewagen essen zu gehen. "Dagens rätt" (Tagesgericht) war Chili con carne für 65 SEK, dazu gab ich mir ein Norrlands Guld (ein "richtiges" Bier) für 47 SEK (11 DM!). Nach einiger Zeit setzte sich ein Schwede an meinen Tisch, mit dem ich mich dann eine ganze Weile unterhalten habe. Und auf der anderen Seite des Ganges saßen zwei Deutsche, mit denen ich dann auch bald ins Gespräch kam. Tja, was soll ich sagen, der Abend endete viele Stunden und einige Dosen Norrlands Guld später. Die zwei, André aus Hannover (danke für den Gästebuch-Eintrag!) und Thomas aus Berlin, waren fast fertige Juristen und auf Austauschstudium in Stockholm. Gerade über meine neue "Zwangs-Heimat" Hannover gab es viel zu reden. Vielleicht erfährt der Abend mal eine neue Auflage im alten Bismarckbahnhof Hannover...

Um 22 Uhr gab es "Bio på tåg"; die Spätvorstellung des Bordkinos lockte! Vorher in Umeå kurz den neuen Abteilgenossen begutachtet (man weiß ja nie). Es handelte sich um einen Schüler, der sich, als ich ihm von den Kinoplänen erzählte, auch zu einer Portion "Bio på tåg" entschied.

Es gab "The sixth sence" auf englisch mit schwedischen Untertiteln. Da war es gut, dass ich den Film schon kannte... Doch auf den Film kam es mir nicht so an. Das Kino selbst war ein Erlebnis! Es handelt sich um einen richtigen fensterlosen Kinosaal en miniature. Die Wände waren mit Stoff ausgepolstert, an ihnen hingen nach oben leuchtende Strahler und die Leinwand nahm die ganze Breite des Raumes ein: Alles wie im richtigen Kino. Dazu saß man auf richtigen typischen Kinosesseln, deren Reihen nach hinten in Stufen anstiegen. Als die Tür geschlossen wurde, konnte man nicht mehr erahnen, ob man vorwärts oder rückwärts saß. Lediglich am Geruckel konnte man erkennen, dass der Zug fuhr. Ein tolles Erlebnis!

André und Thomas meinten, das Bordkino wäre das einzige Kino in Schweden, in dem man Bier trinken dürfe. Um Mitternacht trennten wir uns dann und irgendwann bei 5 Uhr wurden unsere Zugteile voneinander getrennt, wobei ich mir Sorgen um das morgige Frühstück machte, da der Bio-/Restaurangvogn zum Stockholmer Zugteil gehörte und der Vormittag im Zug lang sein sollte...

Dienstag, 29. Februar 2000: Nachtzug bei Långsele - Göteborg

Kann eine Zugfahrt schöner sein? Abendessen, Kino, am nächsten Tag ausschlafen und ... frühstücken! In Gävle war uns nämlich ein anderer - etwas älterer Bio/Bistrovogn zugestellt worden. Zwar war die Auswahl an Brötchen und Gebäck sehr beschränkt, doch immerhin gab es kostenlos Kaffee. Auch die Bio-Vormittagsvorstellung wäre kostenlos gewesen; das musste jetzt aber nicht sein...

Das Bistroabteil hatte nur Stehtische, aber der benachbarte Großraumwagen war leer genug, so dass ich mich mitsamt Kaffee und Smörgås (Smørrebrød auf schwedisch) dort ausdehnen und die Landschaft genießen konnte, die allerdings weit von einem Wintermärchen entfernt war. Da ich gestern nicht dazu gekommen war, hatte ich noch ordentlich Tagebuch zu schreiben... In Laxå ging es ins Gegengleis und irgendwo in den ewigen Wäldern zog auf dem richtigen Gleis ein X2000 an uns vorbei. Der Geschwindigkeitsunterschied war doch beträchtlich...

In den Händen von Tågkompaniet habe ich mich jedenfalls sehr wohl gefühlt. Wenn die wirklich gravierenden Probleme der Abfertigung (zur Zeit können keine durchgehenden TK-SJ-Fahrkarten gekauft werden; man muss sich an zwei verschiedenen Schaltern anstellen) erstmal gelöst sind, kann diese lange Zugfahrt zu den bequemsten in ganz Europa gehören. Das Personal ist freundlich und an fernbedienten Stationen werden die Züge wieder per Durchsage angekündigt. Es klingt einfach gut, wenn an einer Station irgendwo im einsamen Winterwald eine Stimme verkündet: "Tågkompaniets tåg XY von...nach...fährt in ... Minuten ein"; fehlt nur noch "Tågkompaniet proudly presents...". Als Sponsor für die Dienstkleidung (und für die Kleiderbügel im Zug) konnte die Firma Fjällräven gewonnen werden; entsprechend leger und sportlich (etwas abenteuerlich im positiven Sinne) ist das Personal gekleidet. Besonders modisch sind die dunkelblauen Cargo-Hosen, in deren Oberschenkeltaschen Fahrpläne und Lochzange offenbar gut Platz finden...

Ingrid war ganz überrascht, als ich in Göteborg am Bahnhof bereits auf sie wartete. Wir waren sechs Minuten zu früh angekommen! Mit Sack und Pack gingen wir zunächst in die dem Bahnhof gegenüber liegende Nordstan-Passage, wo wir uns bei Systembolaget, dem staatlichen Weinhandel, mit Wein für den Abend eindeckten.

In dem Laden fühlte ich mich in die DDR des Jahres 1990 zurückversetzt. Sozialismus pur! Das Inventar bestand aus Schränken mit schlichtem Holzimitat-Furnier und war völlig farblos. Man nimmt sich zunächst zwei Bestellvordrucke. Dann läuft man wie in einem Museum zwischen großen Vitrinen entlang, in denen der Wein ausgestellt ist. Selbiger ist allerdings nicht nach Anbaugebiet oder Rebsorten sortiert, sondern nach Preisklasse. Je weiter man geht, desto teurer werden die Weine. Jeder Wein ist mit Zucker- und Säuregehalt sowie einer Bestellnummer ausgewiesen. Letztere trägt man in die Bestellliste ein. In die zweite Bestellliste trägt man Ersatzweine ein. Dann zieht man eine Nummer (und erkennt daran, dass man doch noch in Schweden ist). Wenn man drankommt, reicht man dem Verkäufer die Bestellliste, anhand derer er die Weine mit einer Art Einkaufswagen aus dem Lager holt. Und wenn der eine oder andere Wein fehlt, zückt man triumphierend die zweite Bestellliste mit den Ersatzweinen...

Dann ging es mit der Strabse in die Wohnung, wo wir Dietmar trafen, dessen Innentemperatur außerplanmäßig 38°C betrug. Aus diesem Grunde "wollte" er dann auch lieber den Nachmittag beim Arzt verbringen (muss in Schweden eine zeitaufwendige Sache sein). Ingrid "schleppte" mich nun kreuz und quer durch die ganze Stadt. Zunächst ging es an der Uni vorbei, wo wir kurz in das alte Bibliotheksgebäude hineingeschaut haben. Der Wahnsinn schlechthin war der Leseraum, in dem die Studenten wie vor hundert Jahren an Holztischen in drei Reihen saßen und gesittet still vor sich hinarbeiteten. Hier war es fast so still wie im Winterwald von Abisko.

In einem benachbarten Café zog ich mir dann erstmal ein echt-schwedisches Smörgås rein (mit Lachs, Ei und Kartoffelsalat drauf). Wir fragten uns, wie die Schweden derartige Kalorienbomben verputzen und andererseits nicht zuletzt wegen der Figur zu den bestaussehendsten Menschen Europas gehören können. Wenn man sich allein in dem Café umschaute...

Weiter ging es durch die Haga, das Altstadtviertel bei der Uni, bis zur Masthyggskyrka, die hoch auf einem Felsen liegt und einen wunderbaren Überblick über Göteborg bietet. Dort schafften wir es gerade, uns gegenseitig zu fotografieren, bevor wir vom Sturm von den Felsen gefegt wurden. Na ja, fast. Glücklicherweise sagte mir Ingrid nicht, dass sie das alles, was uns hier zu Füßen lag, noch zu Fuß mit mir erwandern wollte... Ihre Führung war allerdings klasse. Zurück im Stadtbereich ging es vorbei am Järntorget zur Fiskekyrka, einer kirchenähnlich aussehenden Markthalle, in der man Fisch in allen Varianten erhalten konnte. Irgendwie schlich sich bei mir schon wieder so ein Hungergefühl ein. Am Stora Hamnkanalen fanden wir wieder ein nettes Café. Allerdings blieb ich stark und ignorierte die lecker aussehenden Kuchen und Smörgåsar.

Als nächstes hatte Ingrid das Kronhuset auf dem Zettel. Es handelt sich um die ehemalige Residenz der Könige für Besuche in Göteborg; heute scheint es so'ne Art Kulturzentrum zu sein. Am Hafen ging es dann noch an der neuen Opernhalle entlang und dann durch die Innenstadt zurück.

Abends bereiteten Ingrid und Dietmar wieder (wie letztes Mal) ein phantastisches indisches Reisgericht zu. Dazu gab es die erste Flasche Wein. Die letzte gab es dann irgendwann um zwei Uhr... Es war mal wieder einer dieser netten Abende. Leider konnte Dietmar wegen seines Fiebers nicht so recht mithalten. Ein paar Gläschen hatte ihm sein Arzt aber ausdrücklich erlaubt...

Mittwoch, 01. März 2000: Göteborg - Hamburg

Es war nun gar nicht so einfach aufzustehen. Irgendwann nach 10 Uhr mussten wir dann aber doch an das Frühstück denken, wenn ich heute noch nach Hamburg kommen wollte. Im Bahnhof kümmerte ich mich zunächst um die (früher jedenfalls) obligatorischen Reservierungen. Der SJ-Kollege am Schalter meinte grinsend, den EC København - Hamburg könne er mir reservieren, den von Göteburg nach Helsingborg jedoch nicht. Die Relation Göteborg - Malmö ist nämlich auch von einer Privatbahn übernommen worden, der Västkustbana.

Diese fährt wie die Tågkompaniet mit altem SJ-Material. Während die Tågkompaniet ihre Züge durch ein dezentes K in grünem Kreis kennzeichnet, malt die Västkustbana ihr Logo großflächig weiß auf Wagen und Loks. Da früher auf der Westküstenbahn lokbespannte IRs und X2000 im Wechsel fuhren, hat auch die Västkustbana einige X2000 in ihrem Fuhrpark. Die Filosofie dieser Gesellschaft, alle am Wege liegenden Stationen zu bedienen, macht auch vor den X2000 nicht halt. Sie haben keine verkürzte Fahrzeit. Geworben wird lediglich mit ihrer verbesserten Bequemlichkeit. Dummerweise liegen an den Stationen längs der Neubaustrecke die Bahnsteige auch noch an den Ausweichgleisen, so dass die durchgehenden Hauptgleise nur von Güterzügen befahren werden... Eine Reservierung schien für die Züge grundsätzlich nicht möglich zu sein, was ich persönlich sympatisch fand.

Västkusttåg 615: Göteborg 12.25 > Helsingborg 14.59

FS "Tycho Brahe": Helsingborg 15.10 > Helsingør 15.30

Das Wetter war mittlerweile stark wechselhaft. So bot sich von der Fähre ein wunderschöner Ausblick auf die umliegenden Städte. Besonders das Schloss Helsingør sah vor den Wolken mal wieder genial aus. So blieb ich eine Weile in Helsingør, denn erstens hatte ich noch viel Zeit zu meinem Zug in København und zweitens wollte ich schon immer mal die kleinen "Lille Nord"-Triebwagen auf den Kaianlagen von Helsingør fotografieren. Die Sonnenwahrscheinlichkeit war ja mit ca 20% deutlich größer als an den vergangenen Tagen. Und tatsächlich ging eine Durchfahrt immerhin mit Halblicht ab.

RE 3063: Helsingør 16.29 > København 17.20

EC 30: København H 17.55 > Hamburg Hbf 22.15+10

Im EC 30 hatte ich einen schönen Fenster-Vorwärts-Platz. Mein Gegenüber war irgendwann in eine leere Sitzgruppe abgezogen. Doch irgendein Nervtöter findet sich ja immer. Diesmal war's ein Ami auf der anderen Seite des Ganges, der ein echter Helge Schneider-Verschnitt war. Er hatte eine getönte Skibrille auf und sah damit so doof aus, dass man ihn getrost als "Freak" bezeichnen konnte. Seit dem Film "The sixth sence" auf englisch weiß ich nun, dass "Freak" bei den Amis ein Schimpfwort sein muss und so meine ich es auch (von Eisenbahn-Freaks war da übrigens nicht die Rede...). Das schlimmste war, dass der Typ seinen Discman furchtbar laut eingestellt hatte und mit seinen Beinen und Füßen den Rhythmus dazu fuchtelte. Wenn man zur anderen Seite schaute, spiegelte sich sein Gezappel in der Fensterscheibe. Sowas kann mich furchtbar nervös machen...

Auf der Fähre gab's ein Abendessen, und der Ami war bereits irgendwo auf Falster eingeschlafen, so dass die Fahrt doch noch sehr angenehm wurde. In Großenbrode mussten wir 13 Minuten auf den Gegenzug warten.

Und ehe ich mich versah, saß ich in der Hamburger S-Bahn. In meinem Geiste zog irgendwo zwischen Rothenburgsort und Allermöhe eine verschneite Winterwildnis vor dem Zugfenster vorbei. Dieses Phänomen begegnete mir in den nächsten Wochen noch einige Male. Wunderbar!

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