Wer fotografiert Eisenbahnen?
Copyright by Jan-Geert Lukner
Ein an Fahrzeug-Unterseiten interessierter Fotograf (Nachahmung verboten!).
© Laurenz Edelman, NJK Solør-Odal
. Takk for bildet!
Der gemeine Eisenbahnfotograf entstammt eindeutig der Gattung der Schienenküsser (Tschuldigung, Eisenbahnfreunde
natürlich). Daher zunächst ein Satz zu Eisenbahnfreunden im Allgemeinen:
Als "Eisenbahnfreund" bezeichnen sich eine Vielzahl von Menschen, die womöglich die Eisenbahn nichtmal zum Hobby
haben. Jemand, der die Bahn bei der Verkehrsmittelwahl dem Auto vorzieht, ist im weiteren Sinne auch ein
"Eisenbahnfreund".
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Einige Eisenbahnfotografen haben es auf Gebäude und Infrastruktur abgesehen. Hjerkinn, Norwegen.
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Doch selbst bei Ausklammerung dieser Art von Eisenbahnfreunden sind wir noch weit
entfernt von den Eisenbahnfotografen. Modelleisenbahner sind Eisenbahnfreunde,
ebenso wie Reiselustige, für die die Bahnreise das Ziel ist. Dann kommen wir in die "härteren" Gefilde. Es gibt
Fahrzeug-Interessierte, die jede Schraube einer Lok kennen; es gibt Strecken-Interessierte, die schon fast alle Strecken
auf eigenen Füßen abgewandert sind; es gibt Signal-Interessierte, die das Signalbuch auswendig kennen und durch die Lande
ziehen, um außergewöhnliche Signalvarianten zu fotografieren (!); es gibt trainspotters, die in Bahnhöfen oder an Strecken
stehen und sich die Loknummern vorbeifahrender Züge nur notieren und nicht fotografieren. Natürlich fließen die
"Fachgebiete" ineinander; dies gilt auch für die Eisenbahnfotografie.
So kommt es dann, dass schon Eisenbahnfreunde, die lediglich mit dem Zug durch die Gegend fahren, eine Kamera in der Tasche
haben, die gezückt wird, sobald irgendwas Interessantes aus dem Zugfenster oder beim Umsteigen zu sehen ist. Da die
Reisen in ferne Gegenden führen, können bereits alltägliche Dinge im bereisten Landesteil etwas besonderes sein.
Auch dem Blockwärter ist diese Art der Fotografie nicht ganz fremd:
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Typisch Tramper Ticket-Tour: Bei Kreuzung ein Foto vom Gegenzug. Der Stationsname sollte mit drauf,
der Schatten des Daches wurde ignoriert. Dabei hätte der Zug vor Erreichen des Daches prima mit
Signalen und optimalem Licht fotografiert werden können. Sulingen anno 1987.
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Bei seinem
ersten Tramper-Ticket anno 1986 konnte ihn als Baureihe-218-"verwöhnten" Norddeutschen schon eine 215 in Staunen versetzen.
Natürlich
wurde soetwas auch fotografiert. Einfach aus dem Fenster und völlig schief. Aber er hatte sie im Kasten und konnte sie
nach den Sommerferien stolz seinen Freunden zeigen! Massenweise stilllegungsbedrohte Nebenbahnen wurden per Tramper-Ticket
abgerissen. An den Endpunkten oder bei Kreuzungsaufenthalten gab es immer ein Beweisfoto. Heute
fragt der Blockwärter sich bei den meisten Bildern, warum er damals nicht diesen oder jenen offensichtlich geeigneteren
Standpunkt gewählt hat. Die Bilder wurden nicht nach Bild-Ästhetik sondern
nach dokumentarischen Gesichtspunkten aufgebaut. Groß war die Freude, wenn ein Stationsname im Bild war. Dann konnte die
Station eindeutig identifiziert werden. Allerdings
wecken diese Bilder im Blockwärter
noch manche Erinnerung an damit verbundene Erlebnisse. Man traf auf den Nebenbahnen immer dieselben Gleichgesinnten, mit
denen man Erfahrungen austauschen konnte. Da ging es allerdings weniger um günstige Fotopunkte als um Strategien, wie man
möglichst viele Nebenbahnen an einem Tage abreißen konnte...
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Die Lok auf dem Bild mag etwas besonderes sein, doch schaut man sich solche tristen Bilder wirklich
gerne an??? Das kann wohl nur ein Fahrzeug-Enthusiast verstehen.
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Auch viele Lok-Fetischisten gehören zu den Eisenbahnfotografen. Ob es um Details von Fahrzeugen geht oder um Veränderungen
im Laufe der Zeit: Die beste Gelegenheit zur Dokumentation bietet halt die Fotografie.
Einige Lok(detail)fotografen
verstehen es vorzüglich, auch aus der Dokumentation ein Kunstwerk zu machen, indem sie Einzelheiten geschickt ausleuchten
oder ihre Fotostellen mit Bedacht auswählen. Andere knipsen jedoch einfach drauf los. Hauptsache, die Lok ist im Kasten.
Einsatzschwerpunkte der Lokfotografen sind Betriebswerke und Bahnhöfe, da sie hier innerhalb kurzer Zeit möglichst viele
Fahrzeuge vor die Linse bekommen. Charakteristikum ihrer Bilder sind die meist bildfüllenden Fahrzeuge, neben denen kaum
etwas von den umliegenden Bahnanlagen auszumachen ist. Es gibt Lokfotografen, die durch ganz Europa fahren, nur um Fahrzeuge
zu fotografieren. Den Blockwärter schmerzt es ein wenig, wenn "Bilder einer Italienreise" angekündigt werden und kein
einziges Bild etwas von der dortigen Landschaft rüberbringt. Aber das ist eben Geschmacksache. Für viele Fotografen dienen
die Bilder lediglich der Sammlung.
Garantiert auch interessiert an den Fahrzeugen sind die Bahn+Landschaftsfotografen. Allerdings versuchen sie, ihre Bilder
durch Einbettung in ansprechende Umgebung sehenswerter zu machen. Dadurch, dass um die Züge herum einiges von den
Bahnanlagen zu sehen ist, dokumentieren sie diese ebenfalls. Doch die Bahn+Landschaftsfotografie ist erst recht
nicht frei von Qualitätsunterschieden. Dies liegt einerseits natürlich am betriebenen Aufwand (dazu später), andererseits
jedoch am "Auge" und natürlich an der Kamerahandhabung. Dabei stellen besonders die zwei letzten Punkte die Grundlage für ein
gelungenes Bild dar. (Im Kapitel "HOW?" soll näher darauf eingegangen werden.)
Streckenaufnahmen zweier Güten: Als in Handeloh noch Schienenbusse (1989) fuhren,
fehlte das "Auge" ganz;
als in Hödingen noch Schienenbusse fuhren (1999), waren zumindest einige Dinge richtig gemacht
worden...
Um so erstaunlicher ist es, welch große Unterschiede entlang der Schienen bezüglich des Aufwands beobachtet werden können.
Folgende Splittergattungen der Bahn+Landschaftsfotografen sind zu unterscheiden:
Der Allrounder: Einerseits fotografiert er Bahnen, andererseits ist die Bahn auch das von ihm bevorzugte
Verkehrsmittel. Durch viele Bahnfahrten mit offenen Augen hat er sich ein großes Wissen über die Bahn angeeignet. Ob Tariffragen,
Fahrplanwesen oder Kenntnisse über Fahrzeugeinsätze und Fotogelegenheiten; man kann ihm fast nichts vormachen. Im Grunde
genommen lebt er das Gesamthobby "Eisenbahn" am meisten von allen Eisenbahnfreunden aus.
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Die einen greifen angesichts einer Dampflok auch bei Regenwetter ekstatisch zur Kamera, andere
genießen einfach nur die Vorbeifahrt. Ziemestalviadukt im Thüringer Oberland.
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Auf seinen Bahnfahrten sieht er vom
Zug aus die Fotomotive, die er dann später aufsucht. So entdeckt er Motive, die manch anderer Fotograf nie entdeckt. Am
liebsten hat er natürlich Motive, die gut per Bahn erreichbar sind, doch nimmt er auch längere Wanderungen in Kauf.
Er ist in der Lage, die hinterletzte Schulbus-Verbindung zum Erreichen seiner Fotostandpunkte zu nutzen.
So vollkommen diese Art der Hobby-Ausübung zunächst erscheint (wohl der einzige wirkliche Eisenbahnfreund, da er den ÖPNV*
auch benutzt), so kann (je nach ÖPNV*-Erschließung der Gegend) doch die
Quantität der Bilder erheblich leiden, da der "Wanderer" längst nicht so flexibel den Standort wechseln kann. Der Allrounder
ist leider nicht besonders häufig anzutreffen, da Planungs- und Energieaufwand für die Touren sehr aufwendig sind.
*ÖPNV=Öffentlicher Personennahverkehr
Der Autoverfolger: Er stellt den Kontrast zum Allrounder dar. Ideal für ihn sind Strecken, neben denen eine gut
ausgebaute Straße parallel führt. Motive sind ihm eher nicht so wichtig, solange möglichst viele Bilder rausspringen.
Dazu stellt er sich an den Straßenrand, fotografiert den Zug, rast wie ein Wilder hinterher und überholt ihn, um sich
paar hundert Meter weiter erneut an den Straßenrand zu stellen. Und so weiter. Wie ein Zug von innen aussieht, kann sich
durchaus seiner Kenntnis entziehen. Ebenso wie Motive, die Abseits irgendwelcher Straßen liegen. Natürlich kommt er
immer erst in letzter Sekunde angebraust und kann schon mal anderen Fotografen, die ein Stück von der Straße entfernt stehen,
in das Bild geraten. Und wenn er trotz Dreifachüberschreitung der Geschwindigkeitsbeschränkungen
keine Chance zur Verfolgung hat, stellt er sich an einen Bahnübergang. Erst wenn das Blinklicht angeht, wälzt er sich aus seinem
Wagen und zückt die Kamera. Der Autoverfolger ist eine der Fotografen-Gattungen, die häufiger vorkommen.
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Außergewöhnlich gesittet stehen die Fotografen in einer Reihe. Offensichtlich handelt es sich nicht
um Verfolger.
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Der Aufwandsmensch: Die auffälligste Parallele zum Autoverfolger ist die Benutzung eines Autos (womit die Bezeichnung
"Eisenbahnfreund" schon wieder in Frage gestellt werden könnte...). Während das Auto des Verfolgers eher schnell sein
muss, kommt es dem Aufwandsmenschen mehr auf Geländegängigkeit und ausreichende Ladekapazität an. Seine diversen Kameras
nebst Wechselobjektiven hat er auf mehrere Alukoffer verteilt. Sperrigstes Hilfsmittel für seine Fotografie ist eine Leiter,
mit der er an beliebiger Stelle die Welt aus der Vogelperspektive beobachten kann. Wann rücken wohl die ersten Fotografen
per Hubschrauber oder wenigstens mit Ruthmann-Steiger an???
Doch zu seinen Utensilien gehören noch mehr Dinge:
Ein Stativ natürlich und
eine Heckenschere, mit der er Gestrüpp vor dem Zug beseitigen kann, eine
Säge, mit der er im Weg stehende Bäume umlegen kann, ein Tarnnetz, das er über störende Schaltkästen legen kann und paar
Plastikblumen, um die er eine grasegrüne Wiese bereichern kann. Vor dem Aufwandsmenschen ist man nirgends sicher.
Der Friede-Freude-Eierkuchen-Fotograf: Er kann den meisten der oben genannten Kathegorien entstammen, weist jedoch ein markantes Zusatz-Merkmal auf: Seine Penibilität bei den Streckenaufnahmen geht so weit, dass er sich einer Vielzahl von Motiven verschließt. Mögliche Gründe hierfür:
- Überlandleitungen, die irgendwo im Hintergrund zu sehen sind,
- Satellitenschüsseln, die durchaus zum Motiv geeignete Gebäude verzieren,
- Funkmasten im Bild,
- Weiße Autos im Bild,
- ...und vieles mehr.
Zugegeben, oben genannte Dinge dienen ja wirklich nicht gerade der Verschönerung eines Bildes. Doch wo andere Fotografen (ich spreche hier jetzt durchaus von Leuten, die sich auf Zubereitung hervorragender Bilder verstehen!) eine Abwägung zwischen Schönheit des Motives oder auch dessen Dokumentarwert auf der einen Seite und der Störung des Gesamteindrucks durch o.g. "Störfaktoren" auf der anderen Seite häufig zugunsten des Motives ausgehen lassen, verzichten die FFE-Fotografen gern ganz auf das Motiv. Das Ergebnis ist, dass sie zwar viele schöne Bilder besitzen, von denen jedes einzelne sich als Wandschmuck eignen könnte, dass ihre Bilder insgesamt betrachtet jedoch durch eine gewisse Ähnlichkeit glänzen. Machen wir uns doch nichts vor: Obige Störfaktoren gehören eben zur heutigen Zeit und treten insbesondere in Zivilisationsnähe entsprechend häufig auf. So wird der FFE-Fotograf nur sehr wenige Bahnhofsaufnahmen oder Stadtansichten besitzen, da sich hier die Störfaktoren besonders konzentrieren. Statt dessen besitzt er tonnenweise Züge, die durch einsame Landschaften rollen; Hauptsache, dass nichts Störendes im Bild ist. Und wenn dann mal wieder ein Bahnhof umgestaltet wurde und zu der einstmals einzig störenden Satellitenschüssel moderne Überdachungen, Hochbahnsteige und dreieckige Mülltonnen hinzu gekommen sind, kann der FFE-Fotograf nur konsterniert feststellen, dass man ja vielleicht doch vorher mal hätte sollen...
Der Coole: Da Wettervorhersagen eh immer falsch sind, wird morgens halt aus dem Fenster geschaut. Wenn ein Sonnenaufgang zu
sehen ist, fährt er mal an irgendeine gute Strecke. Strecken, wo er hinfährt, sind immer gut, weil er ja
der Coole ist. Vor Ort angekommen setzt er erstmal seine Sonnenbrille auf und blickt herablassend auf das gemeine
Fotografenvolk, das irgendwas Uncooles wie Wendezüge fotografiert. Erst wenn ein wirklich interessanter Zug naht, nimmt er
seinen Lederrucksack ab und entnimmt ihm eine Spiegelreflex mit Zoomobjektiv, die echt coole Bilder macht.
Jede kleinere
Kamera wäre armselig, jedes Mehr an Ausrüstung uncool. Wenn Wolken vor der Sonne sind, bleibt seine Kamera natürlich im
Rucksack und herablassend-amüsiert blickt er auf die armen Würstchen, die es nötig haben, auch ohne Sonne zu fotografieren.
Der Coole kommt nicht sehr häufig vor, da der Fanatismus, der allen Eisenbahnfreunden (auch dem Coolen) zueigen ist,
sich in den meisten Fällen all zu dominant hervorhebt.
Der Verhinderte:
Er möchte ja gern an so vielen Stellen fotografieren und lässt das auch alle Bekannten wissen. Doch mittlerweile ist er nicht
nur verheiratet, sondern Nachwuchs ist auch schon da. Da darf er halt nicht mehr so, wie er gerne möchte.
Und wenn er mal von der Familie frei bekommen hat, ist zu seinem Leidwesen nicht immer schönes Wetter. Oder er nimmt seine
Familie mit auf Fototour, wobei seine Frau meist im Wagen sitzen bleibt und ihr Gesicht von Minute zu Minute länger wird.
Abends ist dann oft eine Aussprache fällig. In den darauffolgenden Tagen wird das Thema "Eisenbahn" in der Familie lieber
nicht angesprochen. Gegenüber Freunden klagt er jedoch sein Leid, dass er ja sooo viel auf dem Zettel hätte...
Die Frage, weshalb Frauen (bis auf sehr wenige Ausnahmen) so wenig für dieses Hobby übrig haben,
kann der Blockwärter auch nicht abschließend beantworten...
Erst wenn Sohnemann Gefallen an der Bahn gefunden hat, sind für Papa mal wieder mehr Touren drin...
Sonneberg 1991.
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