Copyright by Jan-Geert Lukner
Mein langes Wochenende stand unmittelbar bevor und der Wetterbericht sagte drei Tage Sonnenschein voraus. Kann es eine idealere Entscheidungshilfe zugunsten einer ausgedehnten Radtour geben? Die Ecke rund um das Dreiländereck Vorpommern / Brandenburg / Polen hatte ich schon länger auf dem Zettel. Doppeltelegrafen-Masten und polnische Nahverkehrszug-Garnituren sollte es hier noch geben. Leider konnte so kurzfristig niemand mit auf Achse gehen (und wenn es nur daran scheiterte, dass über das Wochenende wegen der Love-Parade keine Fahrräder durch Berlin befördert werden durften...). Ein Hinweis noch: Auch wenn der Bericht eine Tour von vor zwei Jahren schildert, haben die meisten Fakten auch noch im Jahre 2001 Gültigkeit (siehe Ende des Reiseberichtes).
Die Fahrt verlief äußerst angenehm in sehr leeren Zügen. Den größten Teil der Strecke habe ich verschlafen. Beim Minibar-Service in RE 33077 gab es einen Kaffee für zwofuffzig. In Teterow kurz über Bahnsteig-Fernsprecher mit Ingolf, dem Fahrdienstleiter, geschnackt, der eventuell morgen zusammen mit Ralf, einem weiteren gemeinsamen Bekannten, im Auto nach Vorpommern kommen wollte. Die halbe Stunde Aufenthalt in Neubrandenburg nutzte ich halbwegs sinnvoll, um mir ein paar Ersatzfilme zu besorgen, da ich befürchtete nicht genügend Velvias dabei zu haben. Ich fand drei Filme-führende Fachgeschäfte, doch den Fuji Velvia führte leider kein einziger Laden. Damit ich nicht mit leeren Händen in den Zug zurück kehren musste, besorgte ich mir in einer Bäckerei einige mega-preiswerte, aber hoch-leckere Kuchenteilchen, die ich dann irgendwo zwischen Spornholz und Strasburg verputzte.
Mit RB 33628 mussten wir in Päiswolk 9 Minuten auf Anschluss warten. Damit dadurch nicht der Gegenzug von Ueckermünde verspätet wird und seine Anschlüsse verpasst, "durften" wir bereis in Jatznick statt Eggesin auf Kreuzung warten. Dies war zwar umsichtig disponiert, machte mir jedoch einen Strich durch die Rechnung, weil ich bis Ueckermünde durch fahren und von dort zu Streckenfotos aufbrechen wollte. Da nun die Zeit zu knapp wurde, verzichtete ich auf den hintersten Streckenteil, um zwei Züge bei Eggesin zu fotografieren (freitags gibt es einen Bonus-Zug; der Bundeswehr sei Dank).
Den Freitagszug fotografierte ich im Bahnhof Eggesin und ein Stück südlich mit typisch-östlichen Vorstadt-Garagen am Rande des Ortes. Insgesamt beherrscht Wald den Landschaftscharakter dieser Strecke. Da ich das so aufregend nicht fand, entschloss ich mich, den zweiten Zug im ehemaligen Militär-Bahnhof Gumnitz zu fotografieren. Eine Zeitlang war Gumnitz noch Blockstelle, doch diese Zeit war wenige Tage zuvor auch zuende gegangen. Die Dame im Stellwerk "B2" hatte nur noch eine Schranke zu bedienen; das abgewickelte Blocksignal lag neben dem Gleis.
Als die RB mitsamt altroter 219 im Kasten war, ging es nach Eggesin zurück, von wo aus ich der Bahn erstmal den Rücken kehrte. Dies dachte ich zumindest angesichts der zur polnischen Grenze hin auf meiner Karte verzeichneten Einsamkeit. Zunächst ging es auf einer im Freitag-Nachmittagsverkehr noch recht stark befahrenen Straße mit leichtem Wind schräg von vorn nach Ahlbeck. Glücklicherweise verlief die Straße meist durch schattigen Wald. Ab Ahlbeck war der Wind mir günstiger gesinnt und der Verkehr wurde deutlich geringer. Auch diese Straße führte zunächst durch einsamen Wald bis Gegensee, einem verstreuten Straßendorf.
Wegweiser für Wander- und Radrouten zweigten nach allen Seiten ab, u.a. natürlich zum Seegrund, einem vertrockneten See, rund um den die Orte Gegensee und Hintersee liegen. Ein reines Naturparadies! Laut Generalkarte sind diese Orte nur an die eine Straße angeschlossen, über die ich gekommen war. Ab Hintersee würde ich mich über Waldwege "durchschlagen" müssen. Nach einigen Wiesen und beeindruckenden Blicken in die Wildnis des Seegrundes, in dem spirrige Bäume von Vögeln "besetzt" gehalten wurden, tauchte Hintersee als "hinterletztes" Dorf vor den Grenzwäldern auf.
Ein liebevoll eingerichteter Signalgarten erinnert in Hintersee an die Randower Kleinbahn. |
Kurz hinterm Ortskern wieder eine Ansammlung von Wegweisern. Doch nicht nur das! Daneben standen Rangierhalt-, Trapez- und weitere von der Eisenbahn bekannte Tafeln entlang eines Pfades. Ein Stationsschild "Hintersee" gab es auch! Hier, jenseits von Gut und Böse, verlief doch tatsächlich vor langer Zeit mal eine Kleinbahn, die Randower Kleinbahn. Die Grenze machte dieser Bahn den Garaus, da sie die Bahn mehrfach durchtrennte.
In meine Richtung war das Trassee der alten Strecke allerdings nicht befahrbar. Eine Anwohnerin meinte, ich solle lieber den Wegweisern des Oder-Neiße-Radwanderweges über die Straße folgen. Und tatsächlich war aus dem Waldweg eine einspurige und kaum befahrene Nebenstraße geworden, die sich natürlich prima nach Glashütte fahren ließ. Von dort hatte ich die Straße nach Löcknitz eingeplant. Doch der Oder-Neiße-Radweg schwenkte beim liebevoll restaurierten Empfangsgebäude von Glashütte wieder auf das Trassee der Kleinbahn um.
Meine Neugierde war geweckt. Durch den Wald folgte der Radwanderweg der Bahntrasse über Dämme und durch Einschnitte. Jenseits des Waldes tauchte eine unberührte wilde Wiesenlandschaft auf. Die absolute Einsamkeit! Die Bahntrasse führte nun unaufhaltsam auf die Grenze zu.
Pampow: Es fehlt eigentlich nur der Ziehbrunnen. |
Der Radwanderweg beschrieb daher einen 90°-Knick nach rechts und führte auf einem Fahrweg in einer Allee durch die Wildwiesen und dann bei einem einsamen Gehöft in den Wald, wo blau ein kleiner Badesee zwischen den Bäumen hervor blinkte. Hinter dem Wald ging es steil bergauf zum hoch gelegenen Dorf Pampow, von dem aus man einen traumhaften Blick über die Oder-Niederung hatte.
Da ich deutlich weiter nach Osten abgedriftet war, als ich beabsichtigt hatte, beschloss ich über Bismarck und Linken direkt nach Grambow zu fahren. Nach Karte wären da wieder einige Wege fällig gewesen, doch führte mich die Markierung wieder mal auf eine dieser neuen einspurigen Asphaltstraßen. Von den Hügelkuppen konnte man weite Ausblicke genießen, bevor es in Schussfahrt ins nächste Gefälle ging. Netterweise bekam ich nicht mehr als zwei Autos zu sehen.
Auch die auf den Grenzübergang Linken zuführende Straße war erstaunlich leer. Zwischen den an einem Grenzübergang nach Polen wohl unvermeidlichen Buden bog ich nun rechterhand in die B113 in Richtung Grambow ab. Die Fahrbahn bestand aus Pflastersteinen, die allerdings eine glatte Oberfläche besaßen, so dass man gut fahren konnte. Kurz vor Grambow bog ich auf einen Feldweg ab, der parallel zur Grenze zum Übergang der Strecke Pasewalk - Stettin führte. Dort tauchte auch bald eine Lz auf, die mit der alten Grenz-Wachbrücke abgelichtet werden konnte.
Für die nächste Regionalbahn von Polen fuhr ich nach Grambow zum Bahnhof. Dort stand auch ein Getreidezug nach Polen zur Abfahrt bereit. Er ließ sich wegen ungünstigem Lichtstand allerdings nicht umsetzen. Es war nun 19 Uhr geworden. Allerhöchste Zeit also, um sich mal nach einer Unterkunft umzutun. Leider waren mir zuletzt keine der sonst allgegenwärtigen "Zimmer frei"-Schilder aufgefallen. In ganz Grambow und im südlich gelegenen Nachbardorf Schwennenz konnte ich nichts entdecken. Die Inhaberin des örtlichen Getränke-Stützpunktes verwies mich an den Wirt "Zum Bauernhof" in Neu-Grambow, der Gästezimmer hätte. Hatte er aber nicht. Dafür war er so nett, in der gesamten Umgebung herum zu telefonieren. Nach einigen Gesprächen fand er dann auch die richtige Adresse für mich heraus.
Allerdings hatte ich dorthin noch sechs Kilometer zu radeln. Doch die Straße von Grambow nach Retzin war abwechslungsreich, führte Hügel auf und -ab und irgendwann konnte ich die Kirchturmspitze von Retzin in der nächsten Senke vor mir ausmachen. Der Ort war umgeben von wogenden Kornfeldern, die in der Abendsonne golden glänzten.
"Mein" Bauernhof in Retzin. |
Meine Pension war ein alter Bauernhof und die Bäuerin, Frau Karow, schloss mit einem Riesen-Schlüssel meine Stube unterm Dach auf. Das "Woher" und "Wohin" beschränkte ich allerdings auf ein Mindestmaß, da nun schon bald der Spätzug von Polen "drohte", den ich zumindest im Bahnhof Grambow fotografieren wollte. Da ich ihr das wohl so schnell nicht hätte begreiflich machen können, brachte ich als Ausrede den Wunsch nach einem abendlichen Essen im "Bauernhof" zu Neu-Grambow vor...
Schnell die sechs Kilometer nach Grambow zurück gehetzt und dort den 21-Uhr-Zug von Polen gelichtet. Dann ging es endlich zum langersehnten Abendessen nach Neu Grambow "Zum Bauernhof". Das Restaurant füllte sich ordentlich, wobei ich natürlich der einzige "Fremdling" war und entsprechend neugierig beäugt wurde. Dann ein drittes Mal die Hügel-auf-Hügel-ab-Piste nach Retzin gefahren, wobei die Kühle der "Blauen Stunde" nach Sonnen-Untergang angenehm wohl tat, nachdem die Hitze des Tages allerdings durch kühlen Wind sehr erträglich gewesen war. Es war ein herrlicher Tag!
Was gibt es Schöneres als einen morgendlichen Blick aus dem Fenster auf strahlend blauen Himmel über goldenen Feldern? Nach dem langgezogenen Frühstück, während dessen mir Frau Karow Gesellschaft leistete, einen ersten Blick in das Kursbuch geworfen. In einer Stunde bot sich ein Bummelzug als Fotomotiv an, der auf der Strecke Angermünde - Stettin von Tantow nordwärts in Richtung Grenze starten sollte. Das war zu schaffen und passte auch vom Licht her optimal.
Durch die frische Morgenluft ging es eine schwach befahrene Straße von Retzin aufwärts in die hügeligen Felder, über die ich bald einen weiten Ausblick genießen konnte. Der Wind rauschte und über einem lag der tiefblaue wolkenlose Himmel, der ständig vom hellen Gezwitscher einzelner kleiner Vögel erfüllt war. Die Straße wand sich über die Hügel und durch die Ortschaften Glasow und Krackow. Ostwärts und gegen den Wind ging es dann nach Nadrensee, wo ich erstmal den Dorfladen aufsuchte, um den Getränkevorrat aufzufrischen. Dann querte ich die A11 und gelangte beim ehemaligen Bahnhof Rosow an die Bahnlinie, die hier allerdings nur einfache Telegrafenmasten hatte.
So knapp wie ich dachte, war die Zeit gar nicht geworden. Da tauchte doch glatt noch der Zug von Polen auf, als ich bereits auf den Bummelzug nach Polen wartete. Zu meiner Überraschung bestand die deutsche RB-Garnitur aus nicht modernisierten Bom-Wagen. Somit war diese Garnitur nicht minder fotografierenswert als die polnische Einheit. Zur vollständigen Freude verkehrten alle Züge mit altroten 232/234ern und die polnische Garnitur war sogar mit einer altroten - wenn auch etwas ausgeblichenen - 219 bespannt. Die konnte ich dann auch gleich mit dem Efeu-berankten ex-EG von Rosow ablichten.
Da ich es ja doch so'n bisken auf die Doppeltelegrafen-Masten abgesehen hatte, beschloss ich nun bei Tantow mein Glück zu versuchen. Einziges Problem: Bereits auf dem Hinweg hatte ich eine dieser "Überraschungstafeln" an der Straße gesehen, die es im Osten besonders häufig gibt und die besagt: "Wie - Sie wollen nach Landkarte fahren??? Das hätten Sie wohl gerne!!! Heute haben wir uns folgende Umleitung für Sie ausgedacht:..." Leider war die vorgeschlagene Umleitungsstrecke für's Fahrrad dann doch viel zu weiträumig, so dass ich einfach in die gesperrte Straße einbog.
Dumm nur, dass die Straße nicht nur gesperrt, sondern schlicht und einfach "weg" war. Bis Radekow herrschte Sandwüste pur. Die Sonne glühte erbarmungslos auf mich herab, während ich Schweiß-überströmt das Rad durch den Sand schob. Ab einigen Baumaschinen ging es dann wenigstens auf Schotter weiter.
Für den IR 328 suchte ich nun südlich von Tantow ein Motiv. Dabei nahm ich den einzigen Doppeltelegrafen-Mast weit und breit ins Bild... Über einen ehemaligen Bahndamm nun versucht zu einem anderen Motiv zu gelangen, doch die Suche endete jäh an einer fehlenden Bachquerung. Daher die nächste RB an derselben Stelle "gemacht". Dann mal beim Fahrdienstleiter vorbei geschaut, der mir erzählte, dass die Züge von Stettin durchweg mindestens zehn Minuten Verspätung haben, da die Passkontrolle wohl nicht im Fahrplan berücksichtigt worden war (hatte bei Planlegung im fahrenden Zug stattfinden sollen).
Zu den nun folgenden südwärts fahrenden Zügen ging es wieder ein Stück nordwärts nach Radekow zurück, wo eine Brücke über die Bahn ein nettes Motiv eröffnete. Auf dem Weg zur Brücke wich ich einem hinter mir fahrenden Auto aus, das jedoch keine Anstalten zum Überholen machte. Plötzlich wurde ich aus dem Auto mit Namen angesprochen! Und wer saß drin? Ingolf, der Fahrdienstleiter aus Teterow, und Ralf. Zusammen lauerten wir nun dem Polen-Park auf, dann fuhren die beiden an die Gramzower Strecke ran. Ich hingegen nahm nun wieder Kurs auf Tantow. Wollte ich wenigstens...
Nun begann der weniger erfreuliche Abschnitt der Tour. Es begann damit, dass beim abwärts rollen die Rücktrittbremse blockierte und sich die Pedalen plötzlich wie wild drehten. Noch konnte ich allerdings normal in allen Gängen Gas geben. Noch... Leider meinte ich auf dem abschüssigen Stück nach Tantow die Rücktrittbremse erneut ausprobieren zu müssen. Das war dann erstmal das Ende. In der hinteren Achse krachte es laut und das Hinterrad blockierte mit so einer Wucht, dass es sich völlig schief im Rahmen verzog. Au Backe!
Die Reparatur wurde dadurch erschwert, dass sich die Schutzplättchen, die den Rahmen vor den Schrauben-Muttern schützen sollen, sich durch die Wucht regelrecht in den Rahmen gefressen hatten. Da musste ich erstmal stemmen... Als ich das Rad endlich wieder gerade im Rahmen hatte, gelang es mir, die Schaltung (Narbe, 5-Gang) außer Gefecht zu setzen und wenigstens im dritten Gang zum Bahnhof Tantow zu gelangen. Selbstverständlich tobte, während ich das Rad reparierte, der Güterverkehr in vollen Zügen...
Einen Zug gab es im Bahnhof Tantow, dann fuhr ich (noch immer im dritten Gang) nach Tantow-Anbau, wo ich nach kurzem Fußweg an einem Feld entlang einen sehr schönen Standpunkt mit Ausblick auf das Dorf Vorwerk für den D-Zug von Tczew entdeckte. Leider waren inzwischen Quälwolken aufgekommen, die mich natürlich auch bei Durchfahrt des D-Zuges beglückten...
Zurück in Tantow musste ich dann ja unbedingt versuchen die Schaltung wieder in Betrieb zu nehmen (kenne mich halt mit Fahrradreparatur und Symptom-Früherkennung bei Fahrrädern nicht so aus). Erfolg war, dass überhaupt nichts mehr ging. Beim Treten gab es nach wenigen Umdrehungen eine Blockierung. Wie ich da so vor meinem umgedrehten Rad stand tauchten zum Glück Ingolf und Ralf wieder auf. Den beiden hatten die Mittagswolken auch den einen oder anderen Strich durch die Rechnung gemacht.
Gemeinsam im Bahnhof Tantow eine Posse von DB Cargo beobachtet, bei der eine 232 irgendwie nicht in der Lage war, einige Container-Wagen, die ein Zug von Polen hier im durchgehenden Hauptgleis zurück gelassen hatte, auf den Haken zu nehmen. Danach befreiten wir mein Fahrrad von seinem Vorderrad, um es in Ingolfs Kleinwagen stopfen zu können. Bevor die beiden mich in Retzin vorbei brachten, knipsten wir noch an einem BÜ mit richtigen Doppeltelegrafen-Masten südwestlich Tantow den RB-Polenpark.
Dass Ingolf und Ralf zur rechten Zeit am rechten Ort waren, rettete die ganze Unternehmung natürlich noch ungemein. Und der weitere Tagesverlauf war dann deutlich weniger deprimierend, als ich erwartet hätte. Auf meinem heimatlichen Bauernhof machte ich mich sogleich an die Reparatur des Rades. Na ja, ich versuchte jedenfalls das Fahrrad irgendwie dazu zu bringen, mich noch ein wenig durch die Gegend zu transportieren. Als das Hinterrad jedoch endlich runter war, stieß ich bald an die Grenzen meines Werkzeuges. Als ich Herrn Karow um entsprechend große Schraubschlüssel bat, meinte er nur: "Komm' se mal mit!"
Er führte mich in seinen Keller und spannte das Hinterrad in den Schraubstock ein. Nun konnten wir das Kugellager öffnen. Dort war offensichtlich alles gebrochen, was auch nur irgendwie brechen kann. Als ich mit einer Spitzzange in der Ölbrühe nach den gebrochenen Einzelteilen stocherte, kam ich mir vor wie ein Arzt, der Schrotsplitter aus einer geöffneten Wunde fischen muss. Nach der Wieder-Montage des Rades ließ es sich tatsächlich wieder drehen. Nur die Gangschaltung und der Rücktritt waren völlig hin. Ich konnte nur noch im vierten Gang treten.
Zur Probe fuhr ich nach Schmaggerow - so nebenbei liebäugelte ich natürlich auch mit einem RB, der dort bald angesagt war. Das Rad lief konstant, der Himmel war mittlerweile wieder völlig frei von Wolken und ich beschloss das Wagnis einzugehen und zum Abendessen mal wieder den "Bauernhof" in Neu-Grambow aufzusuchen. Weitere Gastronomie gab es offensichtlich nicht in der Umgebung. Nach dem Essen fotografierte ich mit dem letzten Licht des Tages einen aus Polen "einreisenden" Bummelzug in den Kornfeldern an der Grenze und im Bahnhof. Danach ging es im vierten Gang nach Retzin zurück, wo erstmal eine ordentliche Dusche fällig war...
Der Morgen war nahezu identisch mit dem Morgen zuvor. Das tiefblau des Himmels lag über den goldenen Feldern und das helle Gezwitscher der kleinen Vögel lag ebenfalls wieder in der frischen Morgenluft. Frau Karow hatte mir erneut ein leckeres Frühstück zubereitet und leistete mir dabei Gesellschaft.
Da ich gestern im Bereich von Tantow Motive entdeckt hatte, die sich aufgrund des Lichtstandes, wegen Wolken oder aufgrund der Fahrradpanne nicht umsetzen ließen, steckte ich nochmal all mein Vertrauen in das Fahrrad und fuhr im vierten Gang nach Tantow. Ab Krackow radelte ich diesmal allerdings die direkte Bundesstraße, die am Sonntagmorgen keinen all zu starken Verkehr aufwies. Einige heftige Steigungen musste ich hochschieben, doch da der Wind nie so ganz von vorn kam, ließ sich die Fahrt im vierten Gang durchaus meistern. In Tantow fuhr ich zunächst zum südlichen Stellwerk, wo wieder der nette Fahrdienstleiter von gestern Dienst hatte. Vom Stellwerk aus zwei Züge fotografiert.
Als nächstes wieder zu dem Motiv von gestern mit Blick auf Tantow-Vorwerk gefahren. Diesmal konnte ich mit günstigem Licht und ohne Wolken sowohl die polnische (diesmal mit rot/weißer 232 bespannt) als auch die deutsche RB-Garnitur fotografieren. Zwischen den Zügen saß ich im Schatten eines Baumes und lauschte dem Heulen des Windes in den Telegrafendrähten und dem hellem Vogelgezwitscher. Wenn man sich im Gras lang ausstreckte, blickte man in eine grenzenlose tiefblaue Ferne...
Zum nächsten Zug, dem D-Zug von Tczew, wollte ich das Motiv wechseln, wozu die Zeit allerdings auch schon wieder knapp wurde. Durch Tantow hindurch fuhr ich nach Keesow. Gestern hatte ich hier eine Plattenpiste (ordentliche Platten, keine DDR-Löcherplattenpiste) in Richtung Schönfeld abzweigen sehen. Und tatsächlich brachte mich diese Piste hügelaufwärts parallel zur Bahn durch die Stoppelfelder. Der Blick fiel hinunter in das Waldtal des Landgrabens, durch das die Bahn verläuft. Nach einer herrlichen Schussfahrt erreichte ich die Straße von Schönfeld nach Petershagen, die durch ein kleines "Seitental" abwärts auf die Bahn zu führte.
Goldene Stoppelfelder, tiefblauer Himmel - kann ein Sommer schöner sein? |
Mit angenehmem Rückenwind gelangte ich zügig nach Petershagen. Von dort ging es auf einem Feldweg zu einem BÜ halb nach Casekow weiter. Hier standen noch durchgehend Doppeltelegrafen-Masten. Da D 325 auch von den obligatorischen zehn Minuten Verspätung nicht verschont blieb, hatte ich noch genügend Zeit, das Motiv "auszufeilen".
Der Durst trieb mich nun zurück nach Petershagen, wo allerdings beide Getränkequellen geschlossen hatten. Daher fragte ich einfach einen in seinem Vorgarten arbeitenden Mann, ob er mir eine Flasche Mineralwasser verkaufen würde. Tat er nicht. Er schenkte sie mir sogar... Dann wollte ich für den nordwärts fahrenden RB ein Motiv nördlich von Petershagen aufsuchen, das allerdings - wie sich dann herausstellte - kaum erreichbar war. Der in die Richtung führende Feldweg endete leider an einem Gehöft, auf dessen Durchschreiten mir ein recht großes Exemplar von Hund jegliche Lust nahm...
Daher einfach mal wieder im Schatten eines Baumes Siesta gemacht, mich bei der Durchfahrt des RB immerhin für ein Foto in die Sitz-Position erhoben, und dann irgendwann mit Rückenwind in den Endspurt nach Casekow gegangen. Viel zu schnell brachte mich der schöne Asphaltweg nach Casekow, wo ich mein Fahrrad in den PKP-Wagen des nächsten RB verfrachtet habe. Eine zwar absolut nicht Pannen-freie, aber dennoch - besonders aufgrund des Wetters - wunderbare Radtour ging zuende.
Im IR 2006 traf ich dann zufällig einen Ausbildungskollegen, der mit seiner Frau auf dem Wege zu einer Radtour durch Schweden war. Und im IR 2130 blieb die von mir befürchtete sonntägliche Fülle zum Glück weitestgehend aus. So bildete die angenehme Rückfahrt den schönen Abschluss für eine gelungene Aktion, die mich in eine wunderschöne und wohl eine der einsamsten Gegenden Deutschlands geführt hatte.
Wie sieht es heute an den Stettiner Strecken aus? (Stand März 2001)
Zwischen Angermünde und Tantow hat sich nicht viel geändert. Eine 219 und Bom-Wagen dürfte man dort zwar nicht mehr antreffen, doch auch Anfang 2001 ziehen Loks der Baureihe 232 Wagenparks von DB (1 Umlauf) und PKP (2 Umläufe) über diese Strecke, die noch immer ihre (Doppel-)Telegrafenleitung besitzt. Die PKP ist sogar bestrebt, vor den polnischen Parks auch polnische Loks einzusetzen. Ob dies zum Fahrplanwechsel Juni 2001 klappen wird, ist allerdings mit dickem Fragezeichen versehen. Fernverkehrszüge gibt es auf dieser Strecke nicht mehr, der Güterverkehr kann mitunter sehr schwach sein.
Die Personenzüge zwischen Pasewalk und Stettin werden mit der Baureihe 218 bespannt. Ab Fahrplanwechsel Juni 2001 wird der Einsatz der Baureihe 628 angestrebt, wobei auch hier die Polen gern mindestens die Hälfte der Züge mit ihren eigenen Loks und Wagen fahren möchten. Der Güterverkehr ist momentan sehr schwach.