USA: Einmal quer durch (1)

Copyright by Jan-Geert Lukner

Prolog

Nachdem im Herbst vergangenen Jahres bei Nico und mir feststand, dass wir 2009 tatsächlich eine USA-Reise realisieren würden, begann eine Zeit intensivster Vorbereitung und - eng damit verbunden - Vorfreude. Nach meinem relativ kurzen USA-Aufenthalt 2007, bei dem mir neben den Streckenfotos auch die Zugfahrt in allerbester Erinnerung geblieben waren, überlegten wir uns ein Konzept, das beides miteinander verbinden sollte. Die Planung sah zunächst vor, einmal mit dem Zug von Ost nach West zu reisen und unterwegs in drei Gegenden, die der Amtrak-Zug tagsüber durchfahren würde, für einige Tage per Leihwagen Streckenfotos zu machen. Von der Gegend her wollten wir uns gern mal die Wüstenstaaten anschauen. So sah der Plan dann bald Foto-Aufenthalte in Chicago, New Mexico und Südkalifornien vor, dazwischen sollten die großen Etappen per Zug zurückgelegt werden. Um flexibler zu sein und auch mehr von der sicherlich interessanten Landschaft zwischen New Mexico und Kalifornien mitzubekommen, die der Zug bei Nacht durchfährt, änderten wir die Planung zugunsten einer Oneway-Automiete für die gesamte Strecke von Albuquerque NM nach Los Angeles CA und Streichung der entsprechenden Zug-Etappe.

Die geplanten Ziele ließen es erwarten, die Tour selbst hat es voll und ganz bestätigt: Nicht nur die berühmten endlosen Güterzüge standen fotografisch im Vordergrund der Tour, sondern auch sehr viel Personenverkehr. Dabei ging es uns gar nicht mal prinzipiell um Personenzüge (außer vielleicht beim kuriosen Railrunner in New Mexico), aber einige der von uns ausgeguckten Gegenden und Strecken hatten halt auch oder fast nur Personenverkehr zu bieten, z.B. im Großraum Chicago, auf der Grand Canyon Railway, auf der Surfliner-Piste an der Westküste und natürlich der "verrückte Vogel" in New Mexico. Dabei trafen wir sogar auf eine Nebenbahn, auf der Desiros mit mega-peinlicher Auto-Hupe fuhren ("er macht immer tüt-tüt").

Angesichts monotoner Güterzug-Bespannungen auf der BNSF-Transcontinental und mehr abgestellter als rollender Güterwagen (alle nutzbaren Ausweichgleise waren mit Containerwagen vollgestellt!) war die Entscheidung zugunsten eines abwechslungsreichen und fotogenen Personenverkehrs im Nachhinein eine gute Wahl gewesen.

Als es losging, waren gebucht: Flüge Hamburg* - Paris - New York und Los Angeles - Paris - Hamburg* (*für Nico Frankfurt) für insgesamt knapp 400 Euro, die Leihwagen in Chicago und von Albuquerque (ABQ) nach Los Angeles (LA) sowie die Amtrak-Fahrten im Roomette von New York nach Chicago und von Chicago nach ABQ. Außerdem hatten wir die Hotels in NY in Flughafennähe und für unsere Ankunft in NM auch die ersten zwei Nächte in Belen NM bei ABQ gebucht.

Wir hatten uns für Illinois und Kalifornien DeLorme-Atlanten besorgt, die wirklich gut sind. Die Zielgegenden in Chicago hatte ich zudem detailliert aus Google Maps ausgedruckt, ebenso wie die für uns interessanten Gegenden in New Mexico und Arizona. Diese Kombination hat sich bestens bewährt. Eine Tourplanung gab es auch - weniger, um sie exakt zu befolgen, sondern mehr, um zu sehen, was man in der Kürze der Zeit überhaupt schaffen konnte. Allerdings hielten wir uns erstaunlich genau an die Planung.

Auf der Tour ging es (ohne die im Flug übersprungenen) durch sieben Zeitzonen: MEZ, Eastern Daylight Saving Time (EDT), Central Daylight Saving Time (CDT), Mountain Daylight Saving Time (MDT), Mountain Standard Time (MST), Pacific Daylight Saving Time (PDT; entspricht MST), MESZ.

Samstag, 28. März 2009: Hamburg - Jameica NY

Heute durfte ich dann auch endlich mal die neue Hamburger Flughafen-S-Bahn für ihren eigentlichen Zweck benutzen. Und ich muss sagen, dass ganz schön viele Leute am Flughafen ausstiegen. Es war jedenfalls eine Wohltat, in Ohlsdorf einfach sitzen bleiben zu können.

Das Einchecken ging bei Air France nur noch am Automaten. Ich finde das ja gar nicht so schlimm, weil man sich dann schön den Platz aussuchen kann. Nervig war bloß, dass ich noch die ganze Adresse des Hotels für die erste Übernachtung eingeben musste. Leider gab es für den Flug Paris - NY keine zwei nebeneinanderliegenden Plätze mehr. Überhaupt war nicht mehr so viel frei, bin mal gespannt, was Nico für einen Platz bekommt. Jedenfalls habe ich ihm meinen Platz schon mal telefonisch durchgegeben. Die Durchleuchtung im neuen Terminal-Mittelteil fand sehr ausführlich statt. Ich musste meinen gesamten Fotorucksack auspacken. Dieser wurde dann nochmal einzeln durchleuchtet. Danach hatte ich noch 75 Minuten Zeit, um schon mal diesen Bericht anzufangen...

AF 1711 Hamburg-Fuhlsbüttel 13.00 > Paris CDG 14.35

Der Flug klappte auf die Minute pünktlich. Ich hatte einen bequemen Fensterplatz mit gutem Ausblick. Beim Start gab es einen schönen Ausblick auf Hamburg. Der Köhlbrand mit der dazugehörigen Brücke lag sogar in leichtem Sonnenlicht da. Viel zu schnell ging es allerdings in die Wolken hinein. Spektakulär war dann auch der Anflug auf Charles de Gaulle. Hier waren richtige Wolkentürme und Hagelschauer unterwegs, dazwischen allerdings auch viel Sonnenschein. Beim Landeanflug wirkten die nassen Landebahnen im Gegenlicht zunächst wie Gewässer. Nach der Landung mussten wir noch einige startende Flugzeuge vorlassen. Diese wirbelten eine tolle Gischtwolke auf. Leider wurde nur der erste Start mit vollem Licht bedacht. Die von hinten angestrahlte Gischtwolke war ungeheuer eindrucksvoll. Leider hatte das Licht für die weiteren Starts merklich nachgelassen, trotzdem brachte ich die Kamera mal zum Einsatz.

Start mit Gischt: Paris Charles de Gaulle.

Die Umsteigezeit in CDG hätte wahrlich nicht knapper ausfallen dürfen! Viel Schlangestehen war angesagt: Erst wies der Wegweiser zu Terminal E von der großen Halle des Ankunftsterminals auf eine unscheinbare Treppe abwärts. Unten landete man in einem unerfreulichen Kellergeschoss, in dem schon eine riesige Menschenmenge auf irgendwas wartete, das sich hoffentlich bald hinter einer Milchglaswand abspielen würde. Nach einer guten halben Stunde Schlangestehen kam ich des Rätsels Lösung näher: Passkontrolle! Dahinter stieg man in einen Shuttlebus, der uns zu Terminal E fuhr.

Und dort war die nächste Warteschlange, diesmal sogar noch länger. In Paris müssen sich auch Umsteiger der ganzen Durchleuchtungsprozedur ein weiteres Mal stellen, das war mir bekannt. Dass ich bei zwei Stunden Umsteigezeit so langsam um den Anschlussflug bangen müsste, hätte ich mir allerdings nicht träumen lassen. Nochwas bereitete mir bald größere Sorgen. Nicos Maschine sollte nach meiner in CDG angekommen sein. Er musste also noch irgendwo hinter mir stecken. Als ich endlich dran war, durfte ich zum zweiten Mal meine gesammelten Objektive einzeln in die Schale legen. Davon werden die sicherlich auch nicht besser... Immerhin konnte Nico angesichts des pressierenden Fluges die Wachleuchte davon überzeugen, an den Wartenden vorbei gelassen zu werden, so dass wir uns am Gate rechtzeitig trafen.

AF 010 Paris CDG 16.30 (MEZ) > New York JFK 19.55-20 (EDT)

Leider hatten wir keine gemeinsamen Plätze bekommen können. Der Flieger war anscheinend restlos ausgebucht. Ich hatte allerdings einen wunderbaren Fensterplatz bekommen. Der Schock war zunächst, als ich den Herrn auf dem Nachbarplatz begrüßte, denn eine LÜ Dora war gar nichts gegen ihn. Aber er wusste wohl um seine Breite und hielt sich äußerst rücksichtsvoll auf seiner Seite auf. Ich konnte sogar noch paar Fotos aus dem Fenster machen, unter anderem von der letzten Landspitze Europas.

Ein letzter Blick auf das europäische Festland...

Die Verpflegung an Bord war phantastisch. Als Mittagessen (nach EDT) gab es Rindfleisch mit Bohnen und Kartoffelbrei, dazu Salat, ein Actimel, zwei Baguettes mit Butter und Käse, danach Kaffee und ein kleines Küchlein. Vorher hatte es schon Knabberkram gegeben. Als wir schon über Kanada waren, so auf Höhe von Halifax, kam sogar noch ein für mich unerwartetes Abendessen mit einem Baguette und Kaffee. Das Personal war freundlich, die Sitzfreiheit für Flugverhältnisse ok und es liefen sogar einige deutschsprachige Filme. James Bond gab ich allerdings auf, denn auf dem kleinen Bildschirm konnte man die Actionszenen nicht wirklich mitverfolgen. Aber Madagaskar2 habe ich mir einmal von Anfang bis Ende angetan.

Die Ausblicke waren diesmal wesentlich besser als beim letzten USA-Flug. Sowohl von der französischen als auch von der kanadischen Küste war viel zu sehen. Die Ecke rund um Halifax wirkte auf mich wie Nord-Norwegen im Reich der Hurtigrute. Nur vor NY tauchten wir in eine fette Bewölkung ein, die uns auch leider den Sonnenuntergang vermieste.

Ordentlich vor Plan landeten wir am Kennedy-Airport. Offenbar war im Flugplan berücksichtigt, dass wir in Europa noch zur Winterzeit abfliegen, in NY aber zu deren Sommerzeit ("Daylight Saving Time") ankämen.

Die Einwanderungshalle von Terminal 1 war nicht ganz so schmuck bemalt wie seinerzeit die von Emirates genutzte. Aber das ganze Prozedere ging diesmal zum Glück auch viel schneller. Ohne nennenswerte Probleme kamen wir durch Pass und Zollkontrolle. Man muss ja jetzt sogar alle zehn Finger einscannen lassen. Hoffentlich sind die Scans was geworden, bei den vielen Fingerabdrücken, die sich schon vor meiner Nutzung auf der Scheibe abzeichneten...

Nun mit dem Airtrain einmal um den ganzen Flughafen zur Station C Federal Circle gefahren. Hier sollten laut Flughafen-Website die Hotel-Busshuttle abfahren. Am Federal Circle war auch alles perfekt ausgeschildert. An einem großen Telefon musste man den Bus ordern (meinte die Infofrau dort jedenfalls, haben wir auch gemacht). Der kam dann auch nach den versprochenen 5-10 Minuten und wurde sogar richtig voll. Mit im Bus und dann natürlich auch im Hotel übrigens zwei Deutsche, die schon im Flug von Hamburg nach Paris dabei gewesen waren! Da der Fahrer sehr hilfsbereit war, gaben wir ihm am Hotel sogar artig ein angemessenes Trinkgeld ("Tip"), so wie es lt Reiseführer und diverser Webseiten angeraten wurde. Wir hatten allerdings den Eindruck, dass unser Tip der einzige war, den der Fahrer erhielt. Da der Shuttle eine kostenlose Sache ist (witzig am Federal Circle die ganzen verschiedenen Kleinbus-Modelle der verschiedenen Hotels), war das Geld sicher nicht vertan...

Dass das Hotel in keiner schönen Gegend liegen würde, wussten wir ja. Deshalb waren wir auch nicht weiter schockiert über den benachbarten Müllwagen-Betriebshof. Das gebuchte Best Western-Hotel war aber sonst sehr ok, das Zimmer sauber und groß genug. Mangels Hotel-Restaurant bekam man an der Rezeption erstmal die Menüs zweier Bringdienste überreicht. Den Fahrstuhl teilten wir uns mit einem Pizzaboten, der - es wäre sonst nicht Amerika - auch gleich nett fragte, wo wir denn herkämen und ob wir länger in NY bleiben würden.

Sonntag, 29. März 2009: Jamaica NY - Nachtzug ab New York

Zunächst trotz lauter Klimaanlage gut geschlafen, aber erwartungsgemäß um 3 Uhr wach geworden. Die Zeit nutzte ich erstmal, um den Reisebericht auf Vordermann zu bringen. Dann nochmal aufs Ohr gelegt. Das Frühstück war dann sehr gut. Damit meine ich jetzt nicht unbedingt das Einweggeschirr, aber das, was drauf kam, war schon sehr lecker. Es gab neben den üblichen Bageln auch noch Omelette und Frikadellen, dazu verschiedenes Gebäck. Selbst der Kaffee war für US-Verhältnisse ungewöhnlich stark. Hier hielten wir es eine ganze Weile aus, nicht zuletzt, weil der Regen draußen uns nicht wirklich zum Aufbruch animierte. Den Shuttlebus um 7.30 ließen wir noch sausen, den um 8.30 erreichten wir dann ganz entspannt.

Unser Best Western am JFK-Airport mit dem Shuttlebus davor.

Mit uns zusammen im Bus war auch wieder das Ehepaar aus Hamburg. Am Federal Circle trennten sich unsere Wege dann allerdings endgültig. Unser Airtrain nach Jamaica Bf fuhr sogleich ein. Erstmal durch die Scheibe eine relativ mächtige Lok der Long Island Railway fotografiert, den 9.07 LIRR-Zug zur Penn Stn beobachtet (leider nur ein EMU), dann zur Subway runter gegangen. Die Subway Station hieß ganz anders. Leider handelte es sich bei der E zur Penn Stn um eine reine U-Bahn. Und leider fuhr der Zug auch nur einen Teil der Strecke als Expreßzug. Aber was solls...

An der Penn Stn verfrachteten wir unsere großen Koffer erstmal an die Gepäckaufbewahrung (4,50$ each). Als nächstes holten wir unsere gebuchten Fahrkarten aus dem Automaten. Das ging absolut schnell, zumindest als endlich ein Automat mit funktionierendem Scanner gefunden war. Einfach 2D-Code des Internet-Ausdrucks drunter gehalten, und schon spuckte die Maschine unsere Tickets aus. Genial! Danach erkundeten wir die Umgebung der Penn Stn. Von vor zwei Jahren hatte ich in Erinnerung, dass die Züge in der westlichhen Ausfahrt ein kurzes Stück ans Tageslicht kommen. Dieses "Loch" wollten wir mal suchen. Mithilfe von Nicos Kompass fanden wir es dann auch hinter dem großen alten Postamt. Leider führte rings um das Loch eine hohe Mauer. Lediglich von einem privaten Mietparkplatz hätte man einen guten Einblick gehabt. Allerdings hatte der Parkplatzwächter offenbar Muffensausen und verneinte unsere Bitte, von dort mal Zugfotos machen zu dürfen.

Nun wollten wir unsere Metro-Funtickets (Tageskarte für 7,50) ein wenig zur Rundfahrt nutzen. Wir waren nur froh, dass wir Sonntag hatten, so hielt sich das Gewühle in der Subway und in der Stadt doch sehr in Grenzen. Unsere E hatte das Ziel "World Trade Center" gehabt. Das brachte uns auf die Idee, dass man sich ja mal den Ground Zero anschauen könnte. Daraus wurde dann allerdings eine größere Aktion. Zunächst standen wir nur vor dem Bauzaun. Erst nach Umrundung des Geländes hatten wir von verschiedenen Brücken und aus dem World Financial Center einen besseren Ausblick. Hinterm Ground Zero verschwanden die Skyscraper-Spitzen in den Wolken.

Die Großbaustelle vom Ground Zero.

Das World Financial Center war wirklich nett. Man konnte durch einen großen Teil des Gebäudes durch flanieren und sich vorstellen, wo in der Woche die Wirtschaftsmächtigen zu Mittag speisen. A propos "speisen": Wir bekamen auch so langsam Hunger. Da wir die Grand Central Station ohnehin mal ausführlicher fotografieren wollten (Allwetterprogramm!), fiel mir sogleich die nette Schlemmermeile im Untergeschoss des wunderschönen Bahnhofs ein. Von Park Place fuhren wir mit einer 2 über Times Square und mit Shuttle S zur Grand Central Station.

Ich nahm einen Riesen-Salatteller von Junior's. Nico holte sich Pizza und Hotdog. Mein Salat war so riesig, dass Nico davon auch noch was essen konnte. Nach der Stärkung waren Fotos angesagt. Vor zwei Jahren konnte ich mangels Stativ oder Iso-Umstellmöglichkeit meiner mit Velvia 50 bestückten Analog-Kamera in der wunderbar restaurierten Grand Central Bahnhofshalle nur schlechte Handyaufnahmen machen. Heute schalteten wir einfach mal unsere DSLR-Kameras auf 400 ISO um, so dass wir aus der Hand die Halle auf den Chip bannen konnten.

Die Grand Central Stn mit ihrer prächtigen Halle.

Verwundert hatten wir festgestellt, dass es gelegentlich deutlich heller wurde. Ein Blick nach draußen verschaffte Klarheit: Die Sonne kämpfte sich gelegentlich durch einige Wolkenlücken durch. Wir hatten nun allerdings nur noch ca 90 Minuten bis zum Nachtzug, so dass wir nichts Großes mehr anfangen konnten. Mit Shuttle S und der 1 fuhren wir mal bis 72 St. Diese Station lag einigermaßen dicht am Hudson, zu dessen Ufer wir einfach mal laufen wollten. Der Ausblick über den Fluss von einer kleinen Parkanlage aus war dann auch nett. Lt Karte hätte hier auch die Amtrak-Strecke am Ufer verlaufen müssen. Die entdeckten wir jedoch nicht. Dafür eine Ufer-Schnellstraße, die auf einer Gerüstkonstruktion gebaut war. Auch unter dem Gerüst war kein Bahngleis zu sehen. Dennoch sollten wir dieses Gerüst heute allerdings noch ein zweites Mal zu sehen bekommen...

Mit der Expreß-3, die heute allerdings als Local fuhr, ging es nun direkt zur Penn Stn. Dort holten wir unsere Koffer von der Gepäckaufbewahrung und steuerten einfach mal ganz dekadent auf den Acela Club zu, dessen Tür sich für uns als Schlafwagenreisende selbstverständlich auch öffnete. In gediegener Atmosphäre konnten wir uns hier für 20 Minuten bei einem Eistee vom vielen Herumgelaufe erholen und uns im Restroom erfrischen. Nachdem mich bisherige WLANs im Flughafen oder im Hotel immer nur auf die Anmeldeseite des jeweiligen WLAN-Besitzers gebracht haben, konnte ich hier, im Amtrak Acela-Club zu New York, erstmals mit meinem neuen Mini-Notebook uneingeschränkt ins Internet gehen. Da musste natürlich ein Bild von meiner Website und der Einblendung der Verbindungsart gemacht werden...

Erstmals ist mein Mini-Notebook in einem WLAN eingeloggt - Kann es dafür einen würdigeren Ort geben als den Amtrak Acela-Club von New York?

Als der Zug zum Check-in bereit gestellt war, wurde der Zug auch in unserer Lounge ausgerufen. Als wir zur abwärts führenden Rolltreppe kamen, um die sich schon eine große Menschentraube gebildet hatte, wurden hier erstmal alle Schlafwagen-Reisende vorgelassen. Great Happyness, es lebe die Zweiklassen-Gesellschaft!

Amtrak 49 "Lakeshore Limited": New York Penn Stn 15.45 EDT > Chicago Union Stn 9.45 CDT

Am Wagen wurden wir vom gut gelaunten Zugpersonal in Empfang genommen. Der Zug war anders als der "Capitol Limited" vor zwei Jahren. Es handelte sich diesmal nicht um die doppelstöckigen Superliner-Wagen, sondern um einstöckige Viewliner. Im Hinblick auf die Abteilgröße unseres Roomette war das sehr vorteilhaft. Das Abteil war doch etwas geräumiger und bot sogar unseren Koffern Platz. Ein großer Nachteil war jedoch, dass der Schlafwagen keine öffentlichen Toiletten hat. Man ist also auf diese komische Schüssel angewiesen, die man im Abteil, gleich neben der unteren Liege hat. Das ist zwar ein voll ausgestattetes Klo, aber für mich als Mitteleuropäer ist es halt doch etwas ungewohnt oder sogar abstoßend, im Abteil dem (insbesondere großen) Geschäft nachzugehen. Offenbar hat Amtrak genügend Beschwerden bekommen, denn der neuere Superliner hat im Wagen einen ganzen eigenen Sanitärtrakt.

Noch einen anderen Nachteil hatte der Zug: Es fehlte das Observationcar, der Aussichtswagen. Wir hatten uns eigentlich seelisch auf eine Fahrt in demselben entlang des Hudson River gefreut. Allerdings hatten wir Glück: Unser Roomette-Abteil lag auf der richtigen Seite, und man konnte dort auch sehr bequem drin sitzen. So stand dieser landschaftlich reizvollen Strecke also nichts mehr im Wege. Irgendwann kam dann auch laut singend die Lady vom Speisewagen durch, um unsere gewünschte Abendessenzeit aufzunehmen. Wir entschieden uns, erst nach dem langen Aufenthalt in Albany um 19 Uhr essen zu gehen. Im Zug kam übrigens die Durchsage, dass der Zug restlos ausgebucht sei und dass die Sitzwagen-Reisenden keine Gepäckstücke neben sich stellen sollten, weil jeder noch einen Sitznachbarn bekommen würde.

Die Kaffeeautomaten in beiden Schlafwagen waren out of order, aber die aufmerksame Schaffnerin besorgte uns den kostenlosen Kaffee aus dem Dining Car. So ging es dann durch die Kellergeschosse Manhattens langsam in Richtung Hudson hinaus. Man kann gar nicht mal von "Tunnel" sprechen, denn offenbar sind, wie wir es vorhin auch im Ground Zero sehen konnten, die Bauten alle auf in den Boden eingelassene Stahlgerüst-Konstruktionen gesetzt. Und in diesen Stahlkonstruktionen fuhr also unser Zug entlang. An einer Stelle blickte man durch diese Stahlgerüste bis ins Freie zum Hudson. Unverkennbar: Das war die Stelle, wo wir noch anderthalb Stunden zuvor nach der Bahnstrecke gesucht hatten, die hier aber noch ein ganzes Stück weiter unter irgendwelchen Straßen weiterführte. Die Gleise in diesen Katakomben, in die immer wieder irgendwie Tageslicht eindrang, wirkten ganz schön rott. Links und rechts von uns lagen zum Teil weitere Gleise, einmal kam sogar eine Müll übersäte Strecke aus irgendeinem Seitenloch an unsere Strecke heran.

Erst im nördlichen Manhattan ging es endgültig ans Tageslicht. Nach Querung des Harlem River stießen wir auf die von Grand Central kommende Metro-Nord-Strecke, die hier sogar noch viergleisig und mit Stromschiene ausgestattet ist. Hier müssten sich von kleinen Brücken oder auch von den Bahnsteigen verschiedener Stationen gute Fotomöglichkeiten ergeben, denn die Strecke führt meist unmittelbar am Hudson-Ufer entlang. Wir genossen den Ausblick. Ich konnte mehrere (teils sehr schmucke)Leuchttürme wiedererkennen, von denen ich vor der Reise noch im Reisebericht auf Maltes Leuchtturmseite gelesen hatte.

Auf der Oberfläche des Hudson bilden sich Nebel, trotzdem spiegelt sich ein Speicher.

Die Sonne ließ sich bis auf eine Ausnahme nicht mehr blicken. Aber der Nebel verhangene Hudson war auch so schon sehr stimmungsvoll. Die Wasserfläche lag ganz glatt da und über ihr kräuselte sich der Nebel. Aus unserem Abteil hatten wir wirklich beste Sicht und dabei saßen wir auch noch schön bequem. In Croton-Harmon standen im Metro Nord Bw sogar einige Rundnasen in zwei verschiedenen Lackierungen herum, die einen äußerst betriebsbereiten Eindruck machten.

In Albany hatten wir eine Stunde Aufenthalt. Hier werden die Kurswagen aus Boston beigestellt, deren Zugloks wir gleich mit übernahmen. Nach einem Foto besichtigten wir mal das Empfangsgebäude. Das hätte so von der Inneneinrichtung auch in irgendeiner schwedischen Stadt stehen können. Dann kam auch noch der "Maple Leaf", der Tageszug von Toronto entgegen. Irgendwo meinte ich gelesen zu haben, dass der kanadisches Wagenmaterial haben solle. Hatte er aber nicht.

Nach dem Zusammenbau der Zugteile von New York und Boston in Albany-Rensselaer. Der Zug mit seinen teils runden, teils eckigen Wagen sieht etwas unregelmäßig aus.

Beim Essen im vollen Speisewagen saß mit uns ein älterer Herr aus Albany am Tisch. Er erzählte, dass er nicht gerne fliegt. Jetzt war er auf dem Drei-Tages-Trip nach Los Angeles, um irgendwelche Familienangehörigen zu besuchen. Auch in Europa sei er schon gewesen. Er möchte dort auch gern nochmal hin, aber mit dem Schiff dauert das halt immer seine Zeit. Die Queen Mary würde wohl viel zwischen Amerika und Europa hin und her fahren und für eine Distanz fünf Tage benötigen. Nun ja, vielleicht ist das mal eine Alternative zu Air France & Co? Wir nahmen als Essen Rinderfilets, danach gab es lecker Käsekuchen mit Erdbeeren. Dazu ein Weißwein. Yes, thats nice! Danach konnten wir uns im Abteil nur noch mühsam wach halten. Schon vor 21 Uhr die Betten gebaut und eingeschlafen.

Montag, 30. März 2009: Nachtzug an Chicago - Bridgeview IL

Sehr gut geschlafen, obwohl der Zug teils ganz schön durch irgendwelche Weichen schlingerte. Allerdings konnte ich ab ca 3-4 Uhr nicht mehr schlafen. Diese Zeit nutzte ich, um den Bericht zu schreiben. Danach nochmal kurz aufs Ohr gelegt, bevor es zum Frühstück ging, das ab 6 serviert wird. Die Mahlzeiten sind ja im Roomette-Preis eingeschlossen. Es gab Ei und Frikadellen mit "Frühstückskartoffeln". Lecker. Über das danach erfolgte "Geschäft" im Abteil hüllen wir jetzt mal den Mantel des Schweigens...

Im Großraum Chicago trafen wir sehr frühzeitig ein. Allerdings mussten wir an einer Stelle, von der man über die weite Fläche des Michigansees blicken konnte, etwa 20 Minuten abwarten, weil wir zu früh dran waren. Danach waren viele Bauarbeiten zu sehen. Übrigens trägt hierzulande kein Bahnarbeiter und kein Rangierer Warnkleidung! Noch immer mit etwas Minus trafen wir in Chicago Union ein. Hier ging nun alles schnell: Das Abholen der Schlüssel für unser Auto dauerte keine 5 Minuten. Der Mann von Hertz betonte einige Male, dass es sich um einen Kleinwagen handle. Das war uns aber egal. Und letztendlich handelte es sich um einen netten, spritzigen und geräumigen Chevi Cobalt LT mit Lederpolsterung, der uns vollkommen ausreichte bzw unsere Erwartungen sogar weit übertraf. Er hatte sogar Tempomat, Sitzheizung und andere Dinge, die das Leben ach so erleichtern...

Wir hatten gehofft, dass wir den 10.30-Metra-Service ab LaSalle Stn schon am Tower 16th Street bekommen würden. Hier kreuzt die Metra-Strecke eine Querstrecke mittels Diamond, also (hier: Vierfach-) Flachkreuzung. Wir schafften es nicht nur, sondern waren zwanzig Minuten zu früh da, so dass wir noch einige unerwartete Fahrten mitbekamen. Auch ein Lz-Paar kam zum Tausch durch.

Eine Tauschlok der Metra am 16 St Tower vor der gigantischen Kulisse der Stadt.

Ein Metra-Zug hat den Startbahnhof LaSalle Stn verlassen und rollt auf der einstigen Rock Island Railway auf den 16 St Tower zu.

Somit hatten wir um 10.30 bereits das Gefühl, dass wir dieses tolle Motiv mit gigantischem Stadtpanorama zufriedenstellend hätten. Eigentlich hatten wir damit gerechnet, hier noch einen Takt (=1h) abwarten zu müssen, und erst um 13 Uhr den Diamond von Ashburn auf dem Zettel. Da dort außer Metra im 2h-Takt nicht viel los sein würde, fuhren wir erstmal nach Dolton, Chicagos "most busiest" Diamond bzw Junction.

In Dolton, wo eine in Nord-Süd-Richtung verlaufende zweigleisige UP-Strecke mittels zwei Vierfach-Diamonds zwei zweigleisige Ost-West-Strecken (Indiana Harbor Belt und CSX) kreuzt, war es auch ganz schön busy, aber halt nur für Montagsverhältnisse (überall wurde gebaut!) und nur aus der falschen Richtung. Einen CSX-Zug, der super gekommen wäre, verpassten wir leider gerade. Danach tat sich ostwärts so gut wie nichts. Immerhin eine Bedienungsfahrt mit falschrummer Lok beehrte uns noch. Da das Licht so langsam in die 90°-Position wechselte, beschlossen wir, doch noch nach Ashburn zu fahren, obwohl unsere nächste Station, Blue Island Junction, hier in der Nähe lag.

Auf der UP-Strecke poltert ein Local über die Diamonds von Dolton.

Die Western Av zog sich nordwärts ganz schön in die Länge. Es handelte sich um eine dieser typischen amerikanischen Ausfallstraßen. Nach einem Tag Chicago muss ich allerdings konstatieren, dass ich noch nirgends vorher Straßen erlebt habe, die in diesem Maße kaputt sind. Wie Schluchten ziehen sich Risse und Löcher durch den Asphalt. Wohl dem Autofahrer, der da nicht hineingerät! Solche Straßenverhältnisse habe ich selbst in Griechenland nicht erlebt, und das will schon was heißen! Zugegebenermaßen hatten wir auch gerade die Jahreszeit dafür; eine Kältewelle mit Massen an Schnee muss dürfte noch nicht lange vorüber gewesen sein. An einigen Stellen stießen wir noch immer auf Schneereste. Wir kamen genau rechtzeitig in Ashburn an und stellten uns auf den Park and Ride Platz. Der Zug hatte Doppeltraktion und war recht lang.

Der Diamond von Ashburn und eine Metra-Doppeltraktion.

Danach ging es mit einem Verpflegungsbesuch bei Mc Donalds die parallel zur Western Av führende Kedzie Av wieder nach Süden. Hier unten liegen übrigens haufenweise Friedhöfe. Es hieß ja immer, dass "ein" Friedhof in Chicago dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg den Rang des größten Friedhofs der Welt streitig macht. Da es sich hier in Chicago aber gar nicht um einen Friedhof, sondern um mehrere nebeneinander liegende handelt, würde ich diesen Status gern hinterfragen...

Als wir kurz vor dem Ziel den Calumet Sag Channel kreuzten, sahen wir unten zwei Gz in Richtung Blue Island. Einer mit BNSF-Loks stand, ein anderer fuhr leider gerade langsam auf unser Motiv zu. Als wir den BÜ Broadway St an der Blue Island Junction (mit Vierfach-Diamond) erreichten, war er schon durch. Hier wurden wir erstmal gewahr, dass gerade die Gleise, deren Züge man am besten mit dem Diamond umsetzen könnte, gesperrt waren. In Blue Island Jn hat man ja fünf Brücken über den Calumet Sag Channel im Hintergrund, und gerade die fragliche Brücke war mit diversen Baufahrzeugen besetzt. Wir warteten eine Zeit lang. Immerhin kam noch der BNSF-Zug durch und eine mit UP und CSX-Maschinen bespannte Fuhre rollte nordwärts.

Leider ohne Diamond im Vordergrund, dafür aber mit den Sag Channel Brücken im Hintergrund: Ein BNSF-Zug erreicht Blue Island Junction.

Der nächste Programmpunkt war ein Wohngebiet an der Metra Rock Island Linie unweit der Station Brainerd in Washington Heights, durch das die Züge auf Straßenniveau mitten hindurch fahren. Diesmal entschieden wir uns für die Autobahn, um nach Norden zu kommen. Besagtes Wohngebiet war offenbar ein Viertel, in dem wir als Weiße die absolute Ausnahme darstellten. Und als fotografierende Weiße erst recht.

Ein Pendlerzug der Metra Rock Island Linie in Washington Heights unweit der Station Brainerd.

So machten wir zwei Bilder und fuhren in der Hoffnung, dass das Licht für die berühmte Stadtkulisse im Vorfeld der Union Stn noch nicht zu weit herum wäre, dorthin. Glücklicherweise konnte man auf einem Parkplatz von Walgreens parken. Der Ausblick von der Brücke Roosevelt Rd war ja wirklich gigantisch. Aber damit, dass man hier wegen dem Sears Tower (einst höchstes Gebäude der Welt) sogar weitwinkeln müsste, hätte ich nicht gedacht. Nun ja, bekannt ist ja, dass hier im Berufsverkehr ein Zug nach dem anderen den Bahnhof verlässt. So hatten wir schnell zwei Züge zusammen.

Blick von der Roosevelt Rd auf das Gleisvorfeld der unterirdischen Union Stn mit dem phantstischen Stadtpanorama von Chicago.

Das Licht passte noch, doch ein Schleierfeld kam der Sonne jetzt bedrohlich nahe. Ein zufällig vorüber kommender Polizist fragte nett an, was wir da machen würden. Züge fotografieren - alles klar! Wir fuhren noch schnell zu dem anderen bekannten Punkt mit Stadtkulisse an der 18th Street, doch dort am Amtrak-Depot schwächelte das Licht schon ganz schön.

Wir beschlossen, unter dem Wolkenfeld durchzutauchen und die Stadtkulisse nochmal von Westen zu probieren. Eine Möglichkeit mit sehr starkem Tele sollte ja der Bahnhof Oak Park an Metro, Metra- und UP-Strecke nach Westen bieten. Dorthin war der Berufsverkehr auf der Autobahn dann doch sehr zäh. Und bis wir durch ein weiteres Schwarzenviertel endlich nach Oak Park zum Bahnhof (hier wieder zumeist weiße Gesichter!) gefunden hatten, waren wir zwar unter dem Wolkenfeld hervorgetaucht, aber das nächste und wohl auch den Tag beschließende Wolkenfeld scharrte schon mit den Hufen...

Im letzten Sonnenschein des Tages: Eine Metra nähert sich auf der Elburn-Linie dem Bahnhof Oak Park, dazu die Stadtkulisse von Westen.

Der Blick war sehr schön, allerdings ging nur noch ein Schnappschuss von einem gerade kommenden Metra-Zug, danach ging das Licht aus. Wir nutzten die Zeit, jetzt noch bei Tageslicht unser anvisiertes Hotel aufzusuchen. Wir hatten das Super8-Motel in Bridgeview ausgesucht, da man von dort relativ leicht in die südlichen und westlichen Teile Chicagos gelangen kann. Dorthin war es zwar ein ganzes Stück, doch wir brauchten nur der am Bahnhof Oak Park langführenden Harlem Av zu folgen, die uns fast zu unserem Hotel bringen würde. Diese irre langen Straßen, die ganz "Greater Chicago" durchmessen, erleichtern die Orientierung ungemein.

Nach einer zügigen und angenehmen Fahrt entdeckten wir das Hotel auf Anhieb und es war auch noch Platz für uns im Nonsmoking Twobed-Room. Nach dem Einchecken machten wir uns noch auf die Suche nach einem Supermarkt, was hier gar nicht so einfach war. Zwar lagen hier rechts und links der Ausfallstraßen diverse Restaurants und Läden, nur ein Supermarkt war nicht dabei. Sind erst irrtümlicherweise in einem Super-K-Mart drin gewesen, aber da gab es alles, nur keine frischen Lebesmittel.

Dann fanden wir aber doch noch einen dieser schön großen Riesendinger, wo wir uns mit Turkey Wraps, Ricepudding (sehr lecker!) und Früchten fürs Hotelzimmer ausstatten konnten. Danach bin ich wirklich totmüde ins Bett gefallen. Aber dieser Montag war ein wirklich guter Tag gewesen, was haben wir alles fotografieren können. Und die Idee, sich am Montag auf Metra zu konzentrieren, war auch keine schlechte gewesen. Denn erstens hat das Metra-Netz wirklich schöne Motive zu bieten (und die Loks am richtigen Ende!) und zweitens war der Güterverkehr ja doch etwas dünn.

Dienstag, 31. März 2009: Bridgeview - Peoria - Bridgeview

Heute bin ich zwar kurz um 3.15 wach geworden, doch war ich noch so müde, dass ich locker bis 5.15 weiterschlafen konnte. Es war sehr ruhig im Hotel. Zum Glück lagen unsere Zimmer zur Rückseite, da bekam man von der Hauptstraße vorn nichts mit. Entspannt konnte ich mich an den Bericht machen.

Das Frühstück war eine gewisse Ernüchterung. Aber paar Toasts waren schon drin. Mit uns in der kleinen Frühstücksecke in der Hotellobby saß übrigens der Jung-Manager von Super8 (geschätztes Alter: Gerade 21 geworden). Er hämmerte auf seinem Laptop rum und obwohl er mit dem Personal nett umging, hatte man den Eindruck, dass seine Leute ihn lieber von hinten sehen. Etwas erinnerte uns die Situation an die Supermarkt-Manager und ihren Umgang mit den Mitarbeitern, wie es ja jüngst durch die deutsche Presse gegangen war. Die Super8-Kette dürfte bei der Masse an Filialen (wahrscheinlich hat nur Mc Donalds mehr ;-)...) sicher ähnlich straff organisiert sein, wie Lidl und Co.

Für heute war uns ja schlechtes Wetter versprochen worden, und dieses Versprechen wurde voll und ganz eingehalten. Wir hatten uns seelisch darauf eingestellt und ohnehin Lust auf eine Landpartie. Um überhaupt irgendeine Art von Ziel zu haben, beschlossen wir einen Besuch bei der Toledo Peoria & Western Eisenbahn (TPW), die, man glaubt es kaum, von Toledo nach Peoria und weiter nach Westen führt. Oder anders gesagt: Es handelt sich um eine kleine Bahngesellschaft, deren Strecke Chicago negierend ca 200 km südlich an der Metropole vorbeiführt. Sie ist nur von lokaler Bedeutung; wir rechneten mit einem einzigen Zugpaar, das uns vielleicht irgendwo entgegen kommen würde. Wir hatten jüngere Bilder mit einer F-Unit, also einer Rundnase, im Einsatz auf der TPW gesehen. Vielleicht würden wir der Lok begegnen, vielleicht auch nicht.

Es ging zunächst von Chicago auf der Interstate 55 südwärts. Nach rund einer Stunde Fahrt, während der die Verkehrsdichte kontinuierlich abnahm, erreichten wir Chenoa. Hier kreuzen die parallel zur Autobahn führende UP-Strecke und unser Ziel, die TPW, mittels eines kleinen Diamonds. Nachdem wir im Regen gestartet waren, hatte es jetzt mal aufgehört. Es gab bei der örtlichen Mc Donalds Filiale ein zweites Frühstück, dann folgten wir der TPW-Strecke westwärts. Nach den Tagen in der Stadt war es mal ganz angenehm, auf leeren Straßen über Land zu fahren. Meist führte der Highway (=Landstraße) in Sichtweite der Bahnstrecke. Eine Rundnase oder überhaupt ein Zug waren Mangelware.

Am Highway irgendwo westlich von Chenoa.

Vor Peoria wurde es hügeliger. Hier liegt in Eureka das College, auf das Ronald Reagan gegangen sein soll. Hübscher Ort. Die Bahn windet sich nun durch ein kleines Flusstal abseits der Straße hinunter in das Tal des Illinois River, in dem Peoria liegt. In dem Seitental trifft die TPW auf eine Nebenstrecke der BNSF, wobei die eine Strecke erstmal per Brücke über die andere hinüber fährt. Sehr hübsch hier. Für ein Foto fehlten allerdings Züge und Wetter. Dann kamen wir am Bw der TPW vorbei. Hier stand ein buntes Lok-Sammelsurium, offenbar war der Fuhrpark von UP, CSX und der uns bis dato unbekannten "RailAmerica" zusammengekauft bzw geliehen. Nur eine Rundnase sahen wir nicht.

Am Illinois River, einem wahrlich ansehnlich breiten Fluss, "machten" wir erstmal rüber nach Peoria und schauten dort im Regen einer Rangierlok der Tazewell & Peoria auf dem Gleis vor dem hübschen ex-EG zu, wie sie paar Wagen verschob. Über eine andere Brücke ging es zurück nach East Peoria, aber da war auch nichts los. Dafür wurde der Regen wieder stärker. Wir fuhren entlang der TPW nun wieder stramm ostwärts, also bis Chenoa denselben Weg wie hinwärts. Kurz vor Chenoa gibt es den kleinen Weiler Meadows. Und in Meadows stand der Güterzug, während die Zugloks gerade den örtlichen Landhandel bedienten. Offenbar war die Fahrtrichtung ostwärts. Eine Rundnase hatte der Zug übrigens nicht, dafür zwei Loks von RailAmerica und der längst verflossenen Southern Pacific.

Der recht dominante Speicher von Meadows wird von der TPW bedient.

Wir besorgten uns erstmal beim uns bereits bekannten Gasthaus "Zum goldenen M" ein Mittagsmahl und stellten uns damit an den Diamond. Dort kam erstmal ein UP-Zug südwärts durch. Die TPW kam erst angefahren, als wir unsere Burger gerade verspeist und unsere Bäuerchen gemacht hatten. Nachtrag: Nico meint, er habe gar kein Bäuerchen gemacht. So hatten wir jedenfalls zwei Super-Regenfotos vom sensationellen Diamond von Chenoa! Ganz toll! Wir folgten dem TPW-Zug mal ein Stück ostwärts. Dabei gelang uns noch eine "Gegenlicht"-Aufnahme. Danach fuhren wir dem Zug aber davon, denn erstens waren wir es leid, dauernd die Kamera abtrocknen zu müssen und zweitens legte der Gz bereits im nächsten Dorf, Weston, den nächsten Rangieraufenthalt ein. Und das hätte dauern können...

Schöner Größenvergleich der Zugloks: TPW zwischen Chenoa und Weston.

So gelangten wir nach langer Fahrt über eine meist schnurgerade Landstraße irgendwann gegen 16 Uhr nach Gilman, einem Bahnknoten, wo die TPW eine in Nord-Süd-Richtung verlaufende Illinois Central Linie quert, auf der Amtrak auch Personenverkehr durchführt. Es gab in Gilman sogar einen Mini-Neubau-Hp außerhalb des Ortes im Gewerbegebiet. Neben dem Nachtzug Chicago - New Orleans kommen hier die beiden durch den Staat Illinois geförderten Regionalzüge "Illini" und "Saluki" in der Relation Chicago - Carbondale durch. Der alte Bahnhof mit seinen Gleisdreiecken machte einen netten Eindruck. Hier könnte man bei Wetter mal gut auf Züge warten. Ein (weiterer) Zug der TPW ging aus einem örtlichen Anschluss gerade ostwärts raus.

Wir setzten uns jetzt allerdings wieder auf die durch den Ort führende Autobahn 45 und fuhren nach Chicago zurück. In Chebanse fiel uns von der Autobahn eine schöne Kirche auf, vor der das Gleis der Illinois Central entlang führte. Zurück in Chicago suchten wir wieder den Supermarkt von gestern, Tony's Finer Food, auf, der offenbar auf europäische Produkte spezialisiert war. Mein Traubensaft kam aus Polen, das Brot aus Italien, es gab griechische Vorspeisen usw. Danach tankten wir noch und durften feststellen, dass der Himmel im Westen immer heller wurde. Die Wolkendecke riss auf!

Eine Bahnstrecke der Indiana Harbor Belt Railway, die direkt an unserem Hotel in Bridgeview vorüber führte, wies ganz ordentlichen Verkehr auf, das hatten wir beim Queren der Strecke immer wieder festgestellt. An der Einfahrt zu einem kleinen Yard fanden wir sogar einen ansprechenden Fotostandpunkt, doch die Sonne verschwand dann doch wieder hinter einer neuen Wolkendecke. Während wir dort warteten, bekamen wir sogar Besuch von einem Polizisten. Er meinte, er sei vom Stellwerkspersonal des Yards gebeten worden, sich uns mal anzuschauen. Er fragte aber ausdrücklich nur, ob wir denn mit unseren Fotos zufrieden wären und betonte, dass alles in Ordnung sei.

Wegen der Wolken ging es zurück ins Hotel, wo Zeit war, den Bericht fortzusetzen. Draußen kam nochmal kurzzeitig das Licht hervor und zauberte eine tolle Regenbogen-Stimmung, die ich wenigstens aus dem Hotelzimmer festgehalten habe. Außerdem wartete ein griechisches Häppchen-Abendessen auf uns. Eigentlich war das alles viel zu viel, aber es schmeckte halt. Was will man machen...

Blick aus dem Hotelzimmer in Bridgeview, als die Sonne kurz vor dem Untergehen nochmal durchbrach.

Mittwoch, 01. April 2009: Bridgeview - Gilman - Bridgeview

Allmählich gewöhne ich mich an den neuen Rhythmus. Heute habe ich bis 5.30 sehr gut geschlafen. Der Blick aus dem Fenster zeigte Wolken an, allerdings mit Aufrissen. Die Vorhersage war für heute gar nicht schlecht gewesen; insbesondere südlich Chicago sollte es sonnig sein. Nach dem Mini-Frühstück wurden wir noch von einer Hotel-Angestellten angesprochen, dass wir doch auf jeden Fall die grünen Kärtchen aus dem Zimmer unten abgeben und mitteilen sollen, wie wir mit dem Reinigungsdienst zufrieden sind. Sie habe zwei Jahre in Karlsruhe gelebt. Dass sie dennoch kein Wort deutsch konnte, ließ die Vermutung nahe, dass sie bzw ihr Mann bei der Army zu tun hatten, was sie dann auch bestätigte.

Wir fuhren nun südostwärts. In dieser Richtung zeigte ein heller Schein das Ende der Wolkendecke an. Für die berühmten Junctions von Dolton & Co reichte es aber beiweitem nicht. Wir hatten allerdings schon ein Ersatzprogramm auf Lager. Gestern hatte uns ja der Bahnknoten Gilman und weiter nördlich der Ort Chebanse mit Kirche sehr gefallen. Dorthin setzten wir uns in Bewegung. Und siehe da, kaum hatten wir den Großraum Chicago verlassen, so wurde es richtig herrlich sonnig. Südlich Kankakee versuchten wir mal den nordfahrenden Amtrak-Zug "Illini" zu erwischen, doch irgendwie kam nichts. Da der Südfahrer nun auch bald kommen sollte, fuhren wir zur Kirche weiter.

Das war in Chebanse auch alles ganz nett. Etwas nachdenklich machte uns bloß, dass da ein Zweiwegeunimog auf dem Gleis stand. Der verduftete allerdings bald. Nun in der Sonne, aber auch im eisigen Wind gewartet. Was nicht kam, war der "Saluki" oder überhaupt irgendein Zug. Sollte es eine Streckensperrung mit SEV geben? Wir wussten es nicht. Uns blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Um 9.20 hätte der Zug kommen sollen. Als um 10 Uhr noch immer nichts gerollt war, setzten wir uns zum Ziel 10.15, wobei ich Nico drauf aufmerksam machte, dass ich von einem Foto-Kollegen (Gruß Richtung Deister!) gelernt hatte, immer drei Minuten über die gesetzte Zeit hinaus zu warten, weil Züge eben gerne kommen, wenn die gesetzte Zeit um ist. Daher um 10.15 nur gaaanz langsam zusammengepackt und gaaaanz langsam zum Auto gegangen. Dabei immer die Schranken im Blick gehabt und bereit gewesen, sofort umzudrehen. Gerade als wir am Auto waren, gingen die Schranken tatsächlich runter! Es ist nicht zu fassen! Als kleiner Amtrak-Aprilscherz bretterte um Punkt 10.17 der "Saluki" an uns vorüber. Obwohl das alles ganz schnell ging, haben wir das gewünschte Bild hinbekommen. Jürgen, wir danken Dir für die Drei-Minuten-Regel!

Der "Saluki" mit der Kirche Saint Mary And Josephs zu Chebanse.

Nachdem der "Saluki" durch war, ging es gemütlich über die Landstraße nach Gilman. Die einzelnen Ortsdurchfahrten mit den Getreidespeichern waren allesamt hübsch. In Gilman drehten wir eine Erkundungsrunde zum Werk (aus dem die TPW gestern einen Zug abgefahren hatte), doch es stand keine Lok drin. Wir stellten uns einfach mal an den Diamond in der Hoffnung, dass irgendwann irgendwas kommt. Immerhin kamen hier aus fünf Richtungen Bahnstrecken an! Und wir hatten Glück! Nach etwa einer halben oder dreiviertel Stunde Wartezeit hörten wir es von irgendwo tröten. Bald tauchte von der Strecke, auf der wir am wenigsten mit Zugverkehr gerechnet hatten, auf der Illinois Central Nebenbahn aus Richtung Südwesten, ein lokaler Güterzug auf. Wir rechneten ja damit, dass er nordwärts oder bestenfalls auf der TPW ostwärts weiterfahren würde, doch dieser aus Südwesten kommende Zug befuhr die Verbindungskurve nach Süden! Des Rätsels Lösung folgte auf dem Fuße. Der Zug endete in Gilman. Die Lok drückte ihre Wagen nun durch den Bahnhof in einige Übergabegleise nördlich des Bahnhofs.

In Gilman rangiert die Lok 4620, die als Eigentümer-Merkmal nur ein "GT" an der Seite trug, ihren Zug in die Übergabegleise.

Dann nahm sie sich aus anderen Gleisen neue Wagen auf, und schon ging es zurück nach Südwesten. Während der ganzen Manöver hatten wir einige Fotomöglichkeiten. Ein Streckenfoto machten wir dann auch noch, als der Zug wieder ausgefahren war. Auf eine weitere Verfolgung verzichteten wir allerdings, denn mittlerweile war es auch im Norden wolkenfrei, und wir wollten zusehen, dass wir in Chicago an den stark befahrenen Junctions ordentlich Abwechslung bekämen.

Mal ein typisches Landschaftsbild aus Illinois. Irgendwo südwestlich von Gilman...

Nach einem Besuch bei Burger King (Abwechslung muss ja sein), wo ich 95ct in Kleingeld loswerden konnte, rollten wir auf der Autobahn wieder nordwärts. Unterwegs kam uns irgendwo ein CN-Güterzug entgegen. Aber das Licht stand jetzt völlig spitz. Gegen 15 Uhr tauchten wir in Blue Island Jn auf, wo wir uns mal wieder köstlich über die vielen Schulbusse amüsierten, die den BÜ querten. Sie halten auch bei offener Schranke an, öffnen die Tür, der Fahrer schaut demonstrativ mit deutlicher Kopfdrehung nach links und rechts, dann wird die Tür zugeklappt und weiter geht's. Das Öffnen der Tür sorgt dabei mechanisch für das Ausklappen der Stopschilder auf der linken Busseite, damit auch niemand überholt.

Die "gute" Brücke über den Calumet Sag Channel war noch immer gesperrt. So entschieden wir uns für Dolton. An Chicagos busiest railway junction würden wir schon die gesuchte Abwechslung finden. Wir entdeckten ein schönes Motiv in einem schwarzen Wohngebiet westlich des Diamonds an der Indiana Harbor Belt Railway. Tja, das nützte aber alles nichts, weil nix kam! Erst nach ca 40 Min Wartezeit, in der der Lichtstand nicht besser wurde, tauchte in der Ferne von Osten ein Zug auf, der aber nordwestwärts zum CSX-Yard abzweigte und bei uns nicht langkam. Das wurde uns zu blöde. Wir stellten uns nun direkt in Dolton auf, wo wir alle Züge von Osten mitbekämen. Immerhin kam noch einer in der gleichen Relation hinterher, den wir fotografieren konnten.

Wenigstens das obligatorische Leihwagenbild ist an der favorisierten Stelle westlich der Junction entstanden.

Danach war wieder Stille an Chicagos meistbelastetem Schienenkreuz. Das Licht kam nun immer spitzer. Wir entschieden uns, dass zumindest noch paar sichere Fotos an diesem schönen Tag mit strahlend blauem Himmel drin sein müssten. Also nochmal den Blick von der Achtzehnten auf das Amtrak Depot und die Stadtkulisse umgesetzt. Es kamen nach 17 Uhr so einige Züge durch, so dass büschen was ging. Auf dem Hinweg hatten wir noch ne Hochbahn an einer Kirche aufgenommen. Hätten wir gewusst, dass den ganzen Nachmittag über nur ein einziger Güterzug gehen würde, hätten wir sicher die Übergabe von Gilman weiter verfolgt oder uns mal um die Hochbahn in Chicago gekümmert. Nun ja...

Der bekannte Blick ins Amtrak-Depot von der 18 Street. Eine P32-8 kam uns bei Amtrak schon sehr ungewohnt vor - zumal in dieser Farbgebung. Hinten nähert sich die Metra.

Als letzten Programmpunkt des Tages hatten wir uns nochmal die Stelle am Yard der Indiana Harbor Belt Rwy in der Nähe unseres Hotels ausgedacht. Durch den zähen Berufsverkehr fuhren wir dort mal hin, obwohl im Westen nun ein mächtiger Schmodder aufgekommen war. Aber es war ja unser letzter Abend, so dass wir dort nochmal ne Runde warteten, obwohl das Licht völlig am Schwächeln war. Ein UP-Zug wurde uns von einer Rangiereinheit zugefahren. Bei Licht wäre es ärgerlich gewesen. Ansonsten war nicht besonders viel los.

Als gar kein Licht mehr war, fuhren wir wieder zu Tony's Finer Food. Diesmal gab es paar Salate und ne Flasche Wein dazu. Die noch sehr junge Supermarkt-Kassiererin durfte die Weinflasche nicht anfassen, ein anderer Kollege musste sie über den Scanner ziehen. Dies ist m.E. ein typisches Beispiel für die Scheinheiligkeit der (hier: amerikanischen) Gesellschaft. Das Gesetzt schützt Unter-21-Jährige so stark, dass sie nichtmal am Arbeitsplatz ne Weinflasche anfassen dürfen. Dieselbe junge Frau kann aber abends im Kreis ihrer Freundinnen ein Koma-Besäufnis starten.

Donnerstag, 02. April 2009: Bridgeview IL - Nachtzug ab Chicago

Heute morgen ließen wir es etwas ruhiger angehen. Wetter sollte nicht sein, und es sah auch nicht so aus, als ob die Vorhersage falsch wäre. Um 9 waren wir mit Mini-Frühstück und Auschecken fertig. Wir wurden herzlich von der "Karlsruherin" verabschiedet. Wir fuhren die Harlem nordwärts und stellten uns dann auf Freeway 55 stadteinwärts hinten an. Na ja, der Verkehr war zähflüssig, aber es ging gut voran. Um 10 hatten wir auch noch an einer Apotheke aufgetankt (den Preisen nach musste das eine Apotheke gewesen sein, sah aber aus wie eine Tankstelle). Diesmal klappte es mit der Eingabe des ZIP-Codes beim Tanken mit Kreditkarte nicht. Die letzten Male hatte ich immer die deutsche Postleitzahl eingeben können. Es kam der Hinweis "See cashier". Hä? Was soll ich anschauen? Plötzlich kam eine Stimme aus der Zapfsäule, ob wir denn Probleme hätten. Er erklärte dann irgendwas, was wir aber nicht verstanden. Dann bin ich zu ihm hin und habe ihm 10 Dollar als Vorauszahlung in die Hand gedrückt. Jetzt weiß ich auch, was "cashier" heißt ;-) Für die doch nicht ganz unbedeutenden zurückgelegten Strecken benötigten wir zweieinhalb Tankfüllungen und haben dafür gerade mal rund 40 Euro bezahlt.

Kurz nach 10 hatten wir das Loch für das richtige Parkhaus in den Häuserschluchten Chicagos gefunden und stellten unser schönes Auto auf dem Hertz-Parkplatz der Union Stn ab. Unser Gepäck ließen wir einstweilen drin, denn wir wollten jetzt gern noch ne Runde durch die Stadt drehen. Ich legte sicherheitshalber einen Zettel aufs Armaturenbrett mit Hinweis, dass wir das Auto nochmal brauchen. Nicht, dass Hertz plötzlich auffiel: Oh, Auto ist schon zurück, dann können wir es ja zur Reinigung wegfahren. Entlang des Jackson Blvd ging es zum Loop, dem Ring der Hochbahn in der Innenstadt.

Die "L" (steht für "Elevated"), also die Hochbahn, nähert sich "State and Lake".

An der historisch wirkenden Station Quincy waren wir wieder mal irritiert über das Fahrkartenangebot. Leider gibt es Tageskarten offenbar nur an bestimmten Punkten. Wir luden uns ein Ticket für zwei Fahrten auf und fuhren mit der "Brown Line to Kimble" (wie wir aus den Lautsprechern ununterbrochen erfuhren) zunächst nach Library, dann nach State/Lake, um paar Bilder zu machen. Es hatte etwas aufgelockert, allerdings nur, bevor wir die Fotos machen wollten. Übrigens hatten wir vor zwei Jahren ja beim Fotografieren der Hochbahn etwas Theater gehabt, kurze Zeit später hat die CTA jedoch auf ihrer Website eine Fotogenehmigung "für Schnappschüsse" offiziell veröffentlicht, die wir uns sicherheitshalber ausgedruckt hatten.

Querung einer Häuserschlucht westlich Clark. Wir mussten viele Ampelphasen abwarten, bis die Autos bei Zugvorbeifahrt so standen, wie wir wollten.

Anschließend machten wir einen kleinen Spaziergang durch die Stadt. Gerade am Chicago River fanden wir viele Motive, die wir auch ohne Sonne einfach mal in Angriff nehmen mussten. Bei unserem Rundgang fiel uns auf, dass wir kaum Touristen in der Stadt sahen. Im Gegenteil: Wir mit unseren Kameras wurden zum Teil neugierig beäugt. Als wir genug gestanden hatten und durchgefroren waren (wir wissen jetzt, weshalb Chicago die "windy city" genannt wird), setzten wir uns bei Ricobene's rein, einer Art Pizzeria. Wir kamen gerade rechtzeitig, bevor der Run durch die ganzen Krawattenträger der umliegenden Wolkenkratzer losging. Ich nahm ein "breaded steak", offenbar die Spezialität des Hauses. Es handelte sich um eine in einen Brotfladen gequetschte Frikadelle mit Käse. War gar nicht so unlecker, aber sicher auch nicht kalorienarm...

Der Chicago River in der "Windy City". Eine Klappbrücke nach der anderen führt über ihn rüber.

Nun hatten wir noch rund zwei Stunden Zeit. Die nutzten wir, um mal paar Hochbahnstrecken außerhalb des Loop zu fahren. Zunächst stiegen wir in die Orange Linie ein, doch als diese auf den Erdboden neben eine Autobahn wechselte, fuhren wir wieder zurück und nahmen dann die "Green Line to Ashland" bis Garfield und zurück. Diese teils durch Häuserschluchten führende, teils über die Dächer, Straßen und Kanäle der Stadt "fliegende" Hochbahn machte richtig Spaß. Allerdings gelangte die Bahn bald in eine weniger wohlhabend aussehende Gegend. Im Zug waren auch nur noch Schwarze. Beim Umsteigen an der Garfield St ließen wir die Kameras lieber mal in der Tasche. Im Zug zurück kam irgendwo ein Bettler rein und bat ziemlich eindringlich um Almosen. Soweit kümmerte sich ja noch niemand um ihn. Als er aber, weil sich niemand um ihn scherte, laut anfing, über Gott zu lamentieren, wurde er sofort scharf vom anderen Ende des Wagens zurechtgewiesen, woraus sich ein etwas lauterer Wortwechsel entwickelte. Schüsse fielen aber nicht...

Nein, das Wetter war nicht plötzlich besser geworden. Dieses Bild von der heute befahrenen Hochbahnstrecke hatten wir am Vortag gemacht.

Ein Fahrgast kam rein und verwickelte andere Fahrgäste in eine Diskussion, bei der es um irgendwelche Präsidenten ging. Habe leider nichts verstanden, der Reaktion der meisten Wageninsassen nach muss es allerdings etwas Lustiges gewesen sein. In "Adams and Wabash" verließen wir die Bahn und liefen nun zu Fuß einmal quer durch die Stadt zur Union Stn zurück. Unterwegs zog ich mir noch ein Chicago-T-Shirt (ja, musste sein...). Dann waren wir wieder im Bahnhof der sprechenden Gleisnummern. An den einzelnen Bahnsteigzugängen erzählt einem eine Stimme (z.B. an Gleis 17) unaufhörlich "Track seventeen, Track seventeen, ...". Autoschlüssel abgegeben und in die Lounge gesetzt. Dort hatten wir allerdings nicht viel Muße, denn gerade saßen wir, da rief die resolute Rezeptionistin ihre "Schäfchen" zusammen ("Kommt jetzt endlich, ich bin jetzt durch die ganze Longe gelaufen und habe allen Bescheid gesagt, sagt nicht, dass Ihr nichts gewusst hättet, kommt jetzt mit!"), um sie vorbei an der "Meute" zum Zug zu führen.

Amtrak 3 "Southwest Chief": Chicago Union Stn 15.15 CDT > Albuquerque 14.55 MDT

Im Zug erhielten wir ein Roomette-Abteil im Obergeschoss. Die Koffer ließen wir gleich unten. Unser zuständiger Steward war diesmal ein Asiate. Sein Auftreten kam daher vollkommen anders als man es mittlerweile von den aufgekratzen Schwarzen kennt. Aber die ruhige Mentalität ist mir ebenso lieb. Auf unsere Frage, ob die Koffer unten in der Gepäckablage denn wohl sicher wären, meinte er, dass in seinen 21 Dienstjahren noch nie jemandem etwas abhanden gekommen sei und er auch dergleichen noch nie gehört hätte. Aber, so fügte er smilend hinzu, vielleicht werden wir ja die ersten sein? Über die BNSF und die hübschen Vororte La Grange, Western Springs und Aurora verließen wir Chicago.

Erst verbrachten wir noch anderthalb Stunden im Panoramawagen. Der Himmel war bedeckt, es regnete leicht. Vor dem Fenster die endlosen Felder Illinois'. Gelegentlich tauchten aus dem Nichts Bahnstrecken auf und kreuzten unsere Route - mal per Diamond, mal per Unterführung, aber nie mit Gleisverbindung. Sie verschwanden meist genau so schnell, wie sie aufgetaucht waren. Gelegentlich durchfuhr der Zug auch mal hügeligere Abschnitte. Häufig wurden Flußtäler auf Brücken oder Dämmen gequert. Hier war durchaus Potential für das eine oder andere Foto. Der entgegen kommende Güterverkehr war anfangs sehr gering, später kamen jedoch mehrere Züge entgegen, zumeist Kohlezüge.

Um 18 Uhr hatten wir Termin im Diningcar. Wir wurden mit einem Ehepaar zusammen an den Tisch gesetzt. Natürlich dauerte es nicht lange, bis mal wieder eine angeregte und sehr nette Unterhaltung im Gange war. Die beiden kamen aus dem Osten und waren unterwegs nach Santa Fe. Sie waren mit einem, wie sie beschrieben, wenig attraktiven Nachtzug nach Chicago gefahren, der von New York einen Riesen-Umweg über Cinncinnati macht. Die durchfahrene Strecke sei allerdings sehr aufregend. Sie empfahlen, dort unbedingt mal zu fahren.

Als Essen gab es ein extrem gut gegrilltes Steak (nein, das war gewiss keine Mikrowellenkost!) mit Ofenkartoffel und Gemüse, Brot und Butter und vorweg einen Salat. Als Nachtisch wählte ich mal wieder Cheesecake, die diesmal allerdings ganz anders als im "Lakeshore Limited" ausfiel (nicht minder legger). Bezahlen mussten wir nur den Wein und das obligatorische Trinkgeld. Während des Essens querten wir bei Fort Madison den Mississippi auf der weltweit einzigen doppelstöckigen Klappbrücke. Die beweglichen Brücken hier in den Staaten sind ja wirklich die Show, Chicago ist ja auch voll von den verschiedensten besonderen Konstruktionen. Hinter Fort Madison gab es zwischen Wolkendecke und Horizont einen schmalen wolkenfreien Streifen. Plötzlich konnte man einen Blick auf den feuerroten Sonnenball werfen, der nun hinterm Horizont verschwand.

Wir schauten noch etwas im Abteil in die zunehmend wolkenfreie Landschaft hinaus. In Kansas City war ich allerdings so müde, dass ich mich während des langen Aufenthaltes schlafen legte. Lange war ich allerdings nicht "weg", dann telefonierte die Tante aus dem Nachbarabteil extrem laut mit dem Handy. Sie war ohnehin schon dauernd am husten, doch das Gespräch strengte ihren Hals wohl derartig an, dass ein stundenlanges Hust- und Röchelkonzert direkt auf der anderen Seite der Abteilwand die Folge war.

Fortsetzung

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