Nordskandinavien 1993 (2)

Copyright by Jan-Geert Lukner

Mittwoch, 21. Juli 1993: Abisko - Kiruna - Gällivare

Heute lachte bereits morgens die Sonne ins Zimmer. Da fiel das Aufstehen so leicht (mir zumindest...), dass ich vor dem Frühstück zum "Canyon" gegangen bin und den Frühzug auf der Abiskojåkka-Brücke fotografiert habe. Leider hieß es heute Abschied nehmen. Vollgefressen vom Frühstück schulterten wir nun nach drei Tagen erstmalig wieder unsere Rucksäcke und verbrachten die letzte Stunde bis zu unserem Zug am Haltepunkt. Dabei konnten wir einen Erzzug und unseren Rt fotografieren.

Rt 981 Abisko T 11.15+10 > Kiruna 12.44

In Kiruna trugen wir unsere grossen Rucksäcke in ein Schließfach. Da wir keine Münzen hatten, stellte ich mich zwecks Geldwechsel am Schalter an. Ein Ami, der uns schon in der JH Narvik als Wirrkopf aufgefallen war, drängelte sich plötzlich an der ganzen Meute vorbei vor. Typen gibt's...

Uns war eine Bus-Besichtigungsfahrt in die LKAB-Untertagewelt empfohlen worden. LKAB bedeutet "Luosavaara-Kirunavaara-Aktiebolag". Luosavaara und Kirunavaara sind die beiden Erzberge von Kiruna. Die Namen sind samisch. Kirunavaara heißt "Schneehuhnberg"; somit befanden wir uns in der Stadt "Schneehuhn". Die Erzzüge wurden 1993 noch von SJ und NSB gefahren. Wenige Jahre nach unserem 93er- Urlaub wurde jedoch nach jahrelangem Druck der LKAB, die ihr Erz selbst fahren wollte, die Transportgesellschaft MTAB (Malmtog AB) gegründet, an der LKAB die Aktienmehrheit hält.


Blick vom Kirunavaara auf Stadt und Luosavaara.

Die Besichtigungsbusse starteten am Stadtplatz um 14.00 Uhr. Zunächst ging es fast bis auf den Gipfel des Kirunavaara hoch. Von dort hatte man einen schönen Weitblick über die Stadt und die Wälder. Mittlerweise waren dicke Gewitterwolken aufgezogen. Anschließend fuhren wir mit den Bussen in die Stollen hinunter (bis 140 m unter die Erdoberfläche). Nachdem wir ewig lang über ein unterirdisches Straßennetz gefahren waren, befanden wir uns in einem Besucherstollen, in dem uns per Video und live einige Arbeitsmaschinen erklärt wurden. Der gesamte Ablauf der Erzförderung wurde gut veranschaulicht. Die runden Kügelchen, mit denen die Erzzüge beladen sind, sind Pellets mit besonders hohem Eisengehalt, da sie extra magnetisch gefiltert werden. Im Werksbereich stand ein Elch im Eingang eines Stollens!

Et 903 Kiruna 16.35+40 > Gällivare 17.44+40

Eine lange Strecke durch ewige Wälder. Im Gegensatz zum Abschnitt westlich Kiruna gibt es hier weit und breit keine Straße. Leider wurden die kleinen Halte in der Ödnis nur einmal am Tag (nur in einer Richtung) bedient. Gelegenheiten für Streckenaufnahmen hätte es hier genug gegeben.

Um vom Bahnhof Gällivare zur JH zu kommen, braucht man nur eine Fußgängerbrücke über die Bahngleise und den Fluß zu queren. Nach dem Einchecken konnten wir mit der nun wieder in Aktion tretenden Abendsonne einige Fotos machen. So traf u.a. der VT der Inlandsbahn ein. Dann machten wir uns uns über die Selbstversorgerküche der JH her, wo wir auch den Abend ausklingen ließen.

Donnerstag, 22. Juli 1993: Gällivare - Jokkmokk - Gällivare

Nun mussten wir ja unbedingt Streckenaufnahmen an der Inlandsbahn machen, wo nur ein Zugpaar am Tag verkehrt. Jeder normale Mensch macht sowas per Auto. Wir hatten den Ehrgeiz, dies per Bahn zu machen. Es gab da einfach nur die Möglichkeit, an einer der Stationen mit längerem Aufenthalt ein Stück vorzulaufen. Wir entschieden uns für den Haltepunkt am Polarkreis, da dort die Gegend offener ist. Während die "herkömmlichen Touris" sich gegenseitig auf dem Polarkreis fotografierten, konnten wir ein Motiv für den weiterfahrenden Zug finden. Es kam anders.

IBAB-tåg Gällivare 07.30 > Polcirkeln 09.42

An den Unterwegshalten in Porjus und bei dem Samenmarkt von Vajkijaur konnten wir unseren Zug bereits fotografieren. Da der Zug nur noch saisonal für Touristen fährt, macht er an all diesen Stationen einige Minuten Pause, damit sich seine Fahrgäste in Ruhe Rentiergeweihe und Jokkmokkburger (mit Ren-Fleisch) kaufen können (was man halt so braucht...).

Dann war es soweit. In der Einsamkeit am Polarkreis verließen wir den Zug zusammen mit einer Riesen-Meute, blieben allerdings als einzige zurück. Die Lichtung am Polarkreis gefiel uns für ein Zugfoto sehr gut, doch da bis zur Abfahrt lt. Fahrplan noch Zeit war, schauten wir noch ein Stück in den Wald hinein, ob dort noch Motive kämen. Motive kamen nicht. Dafür kam plötzlich der Zug. Offenbar hatten die Fahrgäste ihre Bilder doch schneller im Kasten, als der Fahrplan ihnen Zeit gegeben hätte. So war man einfach mit -5 abgefahren... Zwar konnten wir noch ein Foto machen; doch hätte dieses Waldbild überall in Schweden "spielen" können. DAFÜR waren wir nicht extra gekommen!


Es hätte so einfach sein können. Warum haben wir hier nicht die Abfahrt abgewartet?

Blieb uns, das herrliche Wetter und die plötzliche Stille zu genießen. Von einem Mini-Aussichtsturm hatte man einen weiten Überblick über die Landschaft. Verschiedene Stimmen großer Vögel waren zu hören. Das war natürlich auch nett. Wir hatten hier den Polarkreis ein zweites und drittes Mal gequert.

Ein schöner Wanderweg führte parallel zur Bahn nach Jokkmokk, wo wir nach zwei Stunden Fußmarsch ankamen. Eine Nachfrage am Bahnhof ergab, daß irgendwann am frühen Nachmittag eine Draisine mit Bahnarbeiten erwartet werde. Ein Stück weiter an die Strecke gelaufen und auf einen Schaltkasten für einen BÜ gesetzt. Unter mir klickte lautstark das unaufhörlich arbeitende Relais, das das ständige weiße Blinken steuert, das dem Autofahrer die Funktionsfähigkeit des BÜ signalisiert. Statt Draisine kamen plötzlich große dunkle Gewitterwolken auf Jokkmokk zu. Als erste Tropfen fielen, verzogen wir uns schnell in den Warteraum des Bahnhofs. Als wir dort angekommen waren, ging es so richtig los. Es prasselte wie aus Kübeln in fingernagelgroßen Tropfen. Irgendwie mag ich sowas ja gern, wenn ich selbst im Trockenen sitze. Inmitten des Bindfädenregens konnten wir schemenhaft eine einfahrende Motordraisine erkennen. Verschwommene Gestalten spurteten zum Bahnhofsgebäude.

Ein Angeber fuhr draußen mit seinem Wagen vor und wollte seiner Freundin zeigen, wie gut er bei dem nassen Belag schleudern kann. Nach dieser Aktion war Jokkmokk um zwei Verkehrsschilder ärmer...
Wir zogen nach dem Regen etwas durch den Ort, um dann den Busbahnhof zu suchen. Den zurückkehrenden Zug wollten wir im Tal des aufgestauten Stora Luleälven von einem Haltepunkt aus fotografieren, an dem wir dann wieder in den Zug steigen wollten.

Bus Jokkmokk 16.35 > Harsprånget 17.00

Der Busfahrer schien Schmerzen am Zahn zu haben; jedenfalls fasste er sich ständig an die Wange. Trotzdem fühlten wir uns bald auf der linken Spur heimisch. Er hielt wenig von der allgemeinen Geschwindigkeitsbeschränkung, an die sich die Autos vor uns aber größtenteils hielten.

In Harsprånget stiegen wir an der Staumauer aus und liefen auf ihr hinüber zur Bahn. Auf dem heißen Asphalt der Mauer sonnte sich eine ca 50cm lange Schlange, um die wir lieber einen kleinen Bogen machten. Die Kombination von tiefstehender Sonne und den finsteren Wolken sorgte für eine herrliche Stimmung. An der Station Harsprånget fanden wir weder Bahnsteig noch Unterstand vor. Dafür stand dort neben dem Gleis die in Schweden übliche orange Scheibe, die man als Fahrgast zum Zug hindrehen muß, um einen Zustiegswunsch zu signalisieren. Das taten wir dann auch. Leider verschwand die Sonne bald und wich heftigem Regen. So musste (ich glaub', es war das erste Mal auf dieser Reise) mein Regenponcho in Aktion treten. 50m weiter stand plötzlich ein Rentier mit einem phantastischen Geweih auf dem Gleis. Es beäugte uns eher neugierig und knabberte dann genüsslich an den Büschen links und rechts der Bahn.


Heute noch auf dem Bahngleis, morgen als Rentierburger in Jokkmokk.

Es regnete und regnete. Unser Zug war längst überfällig. Aber wir hatten Geduld. Insgeheim hofften wir ja, daß das Rentier immer noch dort stehen würde, wenn der Zug käme. Leider verschwand das Tier dann bald. Plötzlich war durch den Regen das gleichmäßige Rattern der Räder auf den Schienenstößen zu hören. Ein gleißend helles Licht bog um die Ecke und hielt auf uns zu. Auf die Idee, für uns zu bremsen, kam der Lokführer erst, als er schon an uns vorbeigerast war. Wir also nix wie hinterm Triebwagen her. Der kam plötzlich wieder auf uns zu, so daß wir schnell zur Seite springen mussten. Die Zugbetreuerin meinte entschuldigend, daß man dachte, wir wollten nur fotografieren...

IBAB-tåg Harsprånget 17.55+30 > Gällivare 19.30+1(!)

In Porjus bekamen die Zuginsassen eine Führung durch das alte Kraftwerk verpasst. Ich blieb lieber draußen und machte paar Fotos. Es hatte wieder aufgehört zu regnen. Ein Bahnübergang paar hundert Meter weiter war durch den Zug bereits eingeschaltet worden. Das wilde Gebimmel dröhnte die ganze Viertelstunde während der Besichtigung durch die Landschaft...

In Gällivare konnten wir paar Bilder mit Regenbogen machen. Dann ging es in die Selbstversorgerküche der JH, wo wir bei einer Blumenkohlsuppe zwei Mädchen aus Nürnberg kennenlernten, mit denen wir dann noch den ganzen Abend gequatscht haben.

Freitag, 23. Juli 1993: Gällivare - Haparanda

Da wir heute nicht schon um 7 Uhr aufstehen wollten, mussten wir wohl oder übel bis 14.30 Uhr warten. Zunächst in Ruhe gefrühstückt. Dann rüber zum Bahnhof geschaut. Wir hatten uns schon gewundert, als wir von der JH den Et nach Narvik pünktlich einfahren hörten. Am Bahnhof stellten wir dann fest, daß es sich lediglich um die ersten drei Wagen des Zugteiles aus Luleå gehandelt hatte. Der übrige Zug von Stockholm und Luleå wurde mit über 120 Minuten Verspätung angekündigt. Kann ja mal passieren...

Wir brachten unsere Sachen ins Schließfach und liefen in die Stadt. Bei der Touriinfo erkundigten wir uns nach irgendeinem Zeitvertreib. Uns wurde die historische Bergarbeitersiedlung Malmberget empfohlen. Irgendwie waren wir allerdings bocklos. Daher fanden wir uns bald am Bahnhof wieder, wo wir zwischen paar Fotos einfach nur rumhingen. Die Personenzüge kamen heute nach einem nicht veröffentlichten Fahrplan. Der nächste Zug von Luleå hatte auch +95. Unser Zug war dagegen super-pünktlich...

Rt 981 Gällivare 14.30+12 > Boden 16.40

Ein viertes Mal den Polarkreis gequert.


In Boden ist immer großes Umsteigen angesagt.

Bus Boden 17.10 > Haparanda 19.25

Auf dieser Busfahrt hatten wir drei verschiedene Fahrer in zwei verschiedenen Bussen. Mitten in der Pampa, wo die Straße von Boden auf die E4 trifft, mussten wir in den von Luleå kommenden Bus umsteigen. In Kalix fand ein weiterer Fahrerwechsel statt. Bis 1992 konnte man von Boden bis Haparanda und Tornio in Finnland mit einem Triebwagen fahren. Dann hieß es, daß sich der Zug nicht lohne. Im Sommer war er zwar immer überfüllt, doch der skandinavische Sommer ist kurz und die übrigen zehn Monate spielte sich das Verkehrsaufkommen eher an der Küste ab, wo die Bahn nicht hingelangt. Jetzt, anno 1999, plant die private Bahngesellschaft, die den Personenverkehr auf der Erzbahn von der SJ übernehmen will, eine Reaktivierung der Linie nach Haparanda.

Nach dem Einchecken in der JH Haparanda gab es für 48 SEK (11,30 DM) einen Riesen-Hamburger mit Pommes in einer Mampfbude, die auch im Hamburger Hafen hätte stehen können. Dann anläßlich der Suche nach einer intakten Telefonzelle die ganze Stadt besichtigt. So kamen wir dann auch zum Bahnhof, dessen EG ein mächtiges Backsteingebäude ist. Es wirkt jetzt allerdings trostlos. Zum Glück hatte ich ein Jahr zuvor hier viele schöne Aufnahmen machen können. Die Schienen sahen allerdings sowohl auf Normalspur- wie auch auf Breitspurseite des Bahnhofs befahren aus. Neben der einmal am Tag verkehrenden Übergabe, deren Frachten früher umgeladen werden mussten, fährt jetzt auch ein durchgehender Fischzug Narvik - Russland, der eine neue Umspuranlage benutzen kann. Am Fluß entlang kehrten wir zur JH zurück. Wir hatten ein Vierbettzimmer für uns.

Samstag, 24. Juli 1993: Haparanda - Kolari - Haparanda

Da der Samstag einer der auserlesenen Tage ist, an denen ein Zug nach Kolari fährt, standen wir früh auf. Das fiel mir nicht schwer, da ich furchtbar schlecht geschlafen hatte. In unserem Zimmer ließ sich kein Fenster öffnen. Lediglich durch einige kleine Schlitze sollte Luft hereinkommen. Ich habe in Unterhose auf dem JH-Schlafsack gelegen und alle Viere von mir gestreckt. Es war nicht nur warm, sondern auch miefig...

Zu Fuß nach Finnland eingereist. Da mussten wir erstmal die Uhr auf OESZ vorstellen. Durch die zusammen mit Haparanda als "Provincia Bottnica" Werbung machende Stadt Tornio gelaufen. Am anderen Ende ging es über den Fluß Torneälven bzw Tornionjoki hinüber zum Bahnhof. Doch unser Zug sollte nicht von dort, sondern von einem Haltepunkt nördlich des Bahnhofs fahren. Dieser Umstand ist mit der abseitigen Lage des Bahnhofs zu erklären:

Als wir am Haltepunkt Tornio-Pohjoinen (Tornio-Nord) angekommen waren, tauchte anstelle des Zuges erstmal ein Großraumtaxi auf. Der Fahrer fragte, ob wir ihn gerufen hätten. Als wir meinten, er solle wohl eher jemanden vom Zug abholen, wollte er uns nicht glauben, daß dort noch Züge halten... Als der Zug schon längst überfällig war, fing er an, per Handy die Verbindung zu irgendjemanden zu suchen, der ihn über den Zugverkehr aufklären konnte. Er schien aber keine Verbindung zu bekommen. Dann kam der Zug. Es war ein imposanter Auftritt der VR. Eine Mittelführerstandslok rollte langsam an uns vorüber. Es folgte eine nicht enden wollende Kette von Schlafwagen. Als ein Sitzwagen auftauchte, wurde plötzlich gebremst, so daß der Sitzwagen exakt am Bahnsteig zum Stillstand kam.

P 661 Tornio-Pohjoinen 07.55+25 OESZ > Kolari 10.20+15

P steht für Pikajuna (Schnellzug). Was wir erst später merkten: Der Zug hatte 18 (achtzehn!) Wagen, davon 13 mit Klimaanlage (Rest Autotransportwagen). Und was noch mehr verblüffte: Der Zug war bis zum letzten Platz belegt! In der nicht reservierbaren Sitzwagenhälfte eines Cafeteriawagens fanden wir allerdings guten Platz. Unterwegs querten wir den Polarkreis ein fünftes Mal.

Mitten im Wald endete die Fahrt. In Kolari herrschte eine eigenartige Atmosphäre. Man stelle sich einen einsam im Wald gelegenen Bahnhof vor, der - gesäumt von lagernden Baumstämmen - hauptsächlich der Holzabfuhr dient. Auf einmal kommt ein Personenzug mit achtzehn Wagen an, der dort endet. Acht Anschlussbusse und viele Privat-PKW stehen bereit, um die Reisenden in alle Himmelsrichtungen zu bringen. Es wird rangiert, die Autotransportwagen müssen an die Verladerampe. Dazu kommen gespenstisch klingende Lautsprecherdurchsagen mit vielfachem Echo aus großen Lautsprechern an den hohen Lichtmasten. Den Stationsvorsteher fragten wir nach Güterzugfahrzeiten. Leider verstand weder er uns noch wir ihn. Er gab sich aber viel Mühe, ließ mich aufmalen, was ich wollte, rief irgendwo an und ging dann mit mir vor die Tür, wo er mir etwas erklärte. Ich hab's leider nur nicht kapiert...

Da wir nun den Bahnhof von Kolari kennengelernt hatten, wollten wir auch mal etwas von der zugehörigen Stadt sehen. Erst jetzt merkten wir, wie einsam der Bahnhof wirklich lag. Zunächst mussten wir etwa 2 km entlang der E8 durch ewigen Wald gehen. An dieser Stelle ein dickes Lob an die breiten finnischen Radwege. Weiter ging es auf einer anderen Straße weitere 2 km durch den Wald. Bald tauchten einige häßlich zusammengewürfelte Häuser auf. Als wir unter den Häusern auch eine Post und eine Polizei entdeckten, wussten wir es: Wir hatten den Ortskern erreicht. Es folgten noch zwei Supermärkte, dann kamen wieder die ewigen Wälder. Das war weder Stadt noch Dorf, sondern der leibhaftige Arsch der Welt.


Downtown of Kolari-City.

Wir bedauerten zutiefst alle, die hier ihr Dasein fristen müssen. Die vier Kilometer zum Bahnhof zurück vergingen dann wie im Fluge. Da nun verstärkt die Sonne durchkam, konnten wir uns dort auf paar Baumstämme setzen, eine Kleinigkeit essen (deutschen Marmorkuchen aus einem Supermarkt in Kolari...) und den Zug knipsen.

P 652 Kolari 16.50 > Kemi 19.36

Die sechste Polarkreis-Querung.
Auch zurück setzten wir uns in den Cafeteriawagen. Der Umstand, dass der Zug 18 Wagen hatte, hing offenbar mit einer Raftingmeisterschaft auf dem Tornionjoki zusammen. Zurück wurden nur die ersten fünf Wagen genutzt. Auf meinen persönlichen Wunsch stiegen wir nicht in Tornio-Pohjoinen aus, sondern fuhren bis Kemi an der Hauptstrecke von Rovaniemi weiter. Ich hatte das Bedürfnis, mir das Prädikat "einmal den Bottnischen Meerbusen mit der Bahn umrundet" zu verleihen. Von Boden bis Tornio Bf war ich damals noch mit den schwedischen VTs gefahren. Lediglich das Stück Tornio - Kemi war schon stillgelegt und nur mit Bus befahrbar. Zeitlich war es bis jetzt nie hingekommen, für das Stück Tornio - Kemi einen der im Sommer zweimal wöchentlich verkehrenden Kolari-Züge zu nutzen. So konnte ich also jetzt diese furchtbare Lücke schließen. Streng genommen fehlt mir ja jetzt noch das Stück Tornio - Tornio-Pohjoinen...

Bus Kemi 20.07 > Tornio 20.55-7

Der Fahrer des klapprigen Uraltbusses hatte einen Bleifuß, was angesichts unseres Hungers nur gut war. Ob zwischen dem Bleifuß und dem Sprung in der Windschutzscheibe ein Zusammenhang bestand, haben wir uns nicht gefragt...

Zurück in Haparanda mampften wir erstmal wieder einen Riesen-Hamburger; allerdings saßen wir diesmal netter auf der Terrasse vor der JH. Im JH-Eingang fanden wir ein Schild: "JH ist voll. Angemeldete Gäste schauen bitte zwecks Schlüssel und Zimmer-Nummer in den Briefkasten." Neugierigerweise schauten wir auf der Zimmerbelegungsliste nach, wer denn noch so in unser Zimmer käme. Es war niemand vorgesehen! Also ist die JH nicht ausgebucht gewesen. Vielleicht wollte der Zivi bloß lieber zum Konzert auf der anderen Flußseite...

Sonntag, 25. Juli 1993: Haparanda - Rovaniemi

Frühstück gab es erst ab 9 Uhr... Also so zum Busbahnhof gegangen. Der finnische Bus wurde netterweise schon in Haparanda eingesetzt.

Bus Haparanda 09.50 OESZ > Kemi 10.30

Im Bahnhofsbuffet von Kemi tranken wir erstmal Kaffee und aßen ein Gebäckstück dazu. Das Bahnhofsbuffet machte einen richtig gediegen-östlichen Eindruck. Draußen goß es in Strömen. Da uns dieses Wetter nicht gerade Lust zu einem längeren Finnland-Aufenthalt machte, besorgten wir für morgen Abend schon mal Schlafwagenkarten von Rovaniemi nach Turku ans Schiff ran.

P 601 Kemi 11.20 > Rovaniemi 12.48

Dass ich für den P 601 und alle weiteren finnischen Züge keine Verspätungen angebe, hat einen Grund: Alle Züge verkehrten pünktlich auf die Minute!
Wieder mal die geräumigen und bequemen Breitspur-Großraumwagen genossen. Ein Becher Kaffee kostete 6 FIM (1,90 DM). In Rovaniemi liefen wir durch den Regen zur JH, nur um festzustellen, daß sie erst um 17 Uhr öffnete. So stellten wir die großen Rucksäcke in einen Kellereingang und liefen zu einer Bibliothek auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort konnten wir in einigen deutschen Zeitungen nachschauen, welche wichtigen Geschehnisse in der Welt in den vergangenen zwei Wochen an uns vorbeigegangen sind. Dann gab es da noch einige finnische Eisenbahn-Zeitschriften, in denen wir wenigstens die Bilder anschauen konnten. Vor der Bibliothek spielte eine Schülerband. Und das gar nicht mal schlecht. Anschließend am Bahnhof noch paar Postkarten geschrieben. Es goß noch immer in Strömen.

Einem Aushang konnten wir entnehmen, daß die stillgelegt geglaubte Strecke Ylivieska - Iisalmi erst im August dicht gemacht werden sollte. Um dort entlangfahren zu können, disponierten wir für morgen total um und tauschten die Platzkarten. Der Kollege am Schalter war sehr nett und erkundigte sich genau, was wir in Deutschland bei der Bahn machen würden.

Um 17 Uhr checkten wir dann in der JH ein. Mit uns waren zwei Mecklenburger auf dem Zimmer. Nachdem sie unbedingt das Etagenbett haben wollten, das wir gerade beziehen wollten, erzählten sie auch noch, daß sie sich am Polarkreis ein Zertifikat zur Überschreitung haben ausstellen lassen. Nun waren sie ärgerlich darüber und bezeichneten es als Touri-Nepp. Heute Abend stand bei ihnen der deutsche Soldatenfriedhof auf dem Programm, wo sie - so wörtlich - die gefallenen Kameraden ehren wollten. Glücklicherweise weiß ich, daß diese Art Mensch nicht typisch für den Durchschnitts-Mecklenburger ist. Aber so können Vorurteile geschürt werden...

Während Michael in JH-Nähe blieb, zog es mich am Abend zur Ankunft des Zuges von Kemijärvi per Stadtbus hinaus zur stadtfernen Brücke über den Kemijoki. Hier war das Gleis in den hölzernen Brückenbelag der Straße eingelassen. Eine Schrankenwärterin saß hier und bediente außerdem zwei Flügelsignale zur Deckung des BÜ. Die Wartezeit auf den Zug konnte ich auf einem kleinen Holzsteg im Fluß sitzend verbringen.


Der Zug aus Kemijärvi.

Montag, 26. Juli 1993: Rovaniemi - Kemijärvi - Nachtzug bei Iisalmi

Das im Übernachtungspreis enthaltene Frühstück war streng portioniert. Die dreifache Menge Butter wäre nicht zuviel gewesen.

P 63 Rovaniemi 08.10 > Kemijärvi 09.30

Auf den Spuren des Films "Zugvögel-Einmal nach Inari", den es 1993 allerdings noch nicht gab, querten wir nun ein siebtes Mal den Polarkreis, der hierzulande Naapapiiri heißt. An der einsamen Station Raudanjoki verließen einige Angler den Zug.


Petri heil!

In Kemijärvi besorgten wir paar Fruchtquarks aus einem Supermarkt und verzehrten sie am Ufer des seeartig verbreiterten Kemijoki, in dem Kemijärvi auf einer Insel liegt, die beidseitig durch Dämme und Brücken mit dem Festland verbunden ist. Wer den Film "Zugvögel" gesehen hat, kennt den Abfahrtsplan von Kemijärvi mit nur einer einzigen Abfahrt am Tag (abends). Da wir solange nicht warten wollten, querten wir ein achtes und letztes Mal per Bus den Naapapiiri.

Bus Kemijärvi 11.20 > Rovaniemi 12.45

Im Busradio lief eine nervige Sendung, bei der eine Moderatorin ununterbrochen mit Zuhörern telefonierte. Auf Finnisch versteht man ja wirklich nicht andeutungsweise irgendein Wort.

P 70 Rovaniemi 13.00 > Oulu 15.39

In Kemi stiegen die "vier linken Hände" ein. Es handelte sich um zwei Schwedinnen, die wirklich Pech hatten... Erst suchten sie sich einen schönen Platz aus, dann erst schauten sie auf ihre Platzkarte, wo sie denn reserviert hätten. Sie hievten dann ihr Gepäck in Richtung Gepäcknetz und stellten dann erst fest, daß dort gar kein Platz mehr frei war. Zudem war ihnen auch noch eine Kaffeekanne in der Reisetasche ausgelaufen. Sie taten mir leid.

In Oulu hatten wir nach tagelanger Wildnis und unschönen Orten erstmalig wieder das Gefühl, in einer richtigen Stadt gelandet zu sein. Auf dem Bahnsteig gab ein Gitarrenspieler dumme Bemerkungen in deutscher Sprache von sich.

P 602 Oulu 18.50 > Ylivieska 20.20

H 594 Ylivieska 21.24 > Iisalmi 23.10

Leider bekamen wir nur noch von dem ersten Streckenteil bei Helligkeit etwas mit. Unsere zwei Wagen wurden von zwei Loks bespannt.

P 72 / P 102 Iisalmi 23.17 > Turku satama (Hafen) 09.27

Vielfältige Kurswagenverbindungen ermöglichen durchgehende Nachtfahrten von fast überall im Land jeweils nach Helsinki und Turku. Von den finnischen Schlafwagen waren wir mal wieder begeistert. Es handelt sich wohl um die geräumigsten Schlafwagen, die es gibt. Die Klimaanlage sorgt ständig für gute Luft (auf Dieselstrecken kann es allerdings stinkig werden). Ein Bett kostete im Dreierabteil 60 FIM (18,70 DM). Dafür gibt es in Deutschland nichtmal einen Liegewagenplatz...

Dienstag, 27. Juli 1993: Nachtzug bei Iisalmi - Nachtzug südlich Stockholm

FS "Silja Karneval" Turku 10.00 OESZ > Stockholm 19.00 MESZ

Von dem Schiff konnten wir wieder mal nur begeistert sein. Ein schwimmendes Hotel! Der anfangs noch bewölkte Himmel lockerte bis zur offenen See immer mehr auf, bis purer Sonnenschein herrschte. So konnten wir unsere Bräune nochmal so richtig auffrischen. Dabei genossen wir den tollen Ausblick auf die Schärenwelt. Lediglich westlich der Aalandinseln wird ein Stück offener See ohne Inseln gequert. Danach geht es in einen langen auf Stockholm zuführenden Fjord. Am Ufer viele kleine Pippi-Langstrumpf-Häuser. Eine wunderschöne Welt. Mittags gibt es ein phantastisches Buffet für 134 SEK (die 30 DM sind gut angelegt!), dessen Kartoffel-Lachs-Auflauf besonders hervorzuheben ist...

In Stockholm ging es mit einem Bus zur T-Bahn-Station Ropsten. Von dort fuhren wir mit der Tunnelbahn zum Hauptbahnhof.

Nt 205 Stockholm 23.12 > Malmö 06.45

Gemäß Fahrplan-Vermerk wurde der Zug um 22.00 Uhr bereitgestellt. Damit nach der Abfahrt kein Zub mehr nach den Fahrkarten fragen muß, werden die Tickets bereits am Bahnsteigzugang kontrolliert. Wir hatten einen neuen Liegewagen, dessen Belüftung hervorragend funktionierte.

Mittwoch, 28. Juli 1993: Nachtzug südlich Stockholm - Hamburg

D 317 Malmö 07.20 > Saßnitz 12.35

Der Zug bestand bis zur Fähre aus einem SJ- und zwei DR-Bim-Wagen. Letztere waren sehr gut besetzt. Die Fährüberfahrt ging bei trübem Wetter ab. Trotzdem war die Fahrt entlang der Kreideküste von Rügen nicht uninteressant.

D 2234 Saßnitz 13.03 > Hamburg Hbf 17.39+10

Da waren wir wieder am Ziel. Eben noch in Lappland, jetzt im Hamburger Hauptbahnhof. Zuhause. Zwei Wochen haben wir nicht an Ausbildung und Arbeit gedacht. Damit war der Sinn des Urlaubes erfüllt. Hinzu kamen die vielen Eindrücke, die wir gewonnen haben: Die norwegische Fjordlandschaft, der Rallarveien, die langen Erzzüge, strömender Regen in Jokkmokk, durch den Wald hallende Lautsprecherstimmen in Kolari. Als wäre es gestern gewesen.

Dank an Michael für die tolle Reisebegleitung; es hat großen Spaß gemacht.

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