Einmal Kosovo und zurück (1)

Copyright by Jan-Geert Lukner

Prolog

Als mein Interesse für den Balkan begann, wusste man, dass da auch irgendwo ex norwegische NOHAB-Lokomotiven zum Einsatz kämen - und das auch noch mit schwedischen Personenwagen. Kosovo hieß die Gegend, und das, was man in den Nachrichten aus der Ecke hörte, war alles andere als einladend für eine individuelle Tour in dem Stil, den ich für meine Fototouren so gewöhnt bin. Also hat man sich erstmal ausgiebig Slowenien und Kroatien gewidmet - mit dem Vorsatz, die fotografische Lücke zwischen Kroatien und Griechenland auch irgendwann einmal zu schließen.

Die Jahre sind ins Land gegangen und die Situation auf dem Balkan hat sich deutlich beruhigt. Der Kosovo ist mittlerweile ein eigenes Land, das allerdings noch nicht von allen anderen Ländern anerkannt wurde. Bei der Abtrennung von Serbien im letzten Jahr gab es dann auch wieder Krawalle, die sich aber bald wieder gelegt haben. Dennoch - zu einer Individualtour konnten wir uns nicht so recht überwinden. Das Auswärtige Amt macht auch jetzt noch darauf aufmerksam, dass gerade im Norden des Kosovo, wo der serbische Bevölkerungsanteil lebt, durch kleinste Anlässe wieder Unruhen entstehen können.

Da kam uns die Ankündigung einer organisierten Kosovo-Tour gerade recht. NOHAB-Fan Michael Frick, der "seinen" Loks nun schon einige Male in den Kosovo gefolgt ist, der dort auch schon Loks umlackiert hat und über entsprechende Kontakte verfügt, schrieb diese Tour für Ende August aus. Mit einem NOHAB-bespannten Sonderzug sollte es ab Nürnberg durch Österreich, Ungarn, Serbien bis in den Kosovo gehen. Eine ziemlich unglaubliche Aktion! Er brauchte 100 Fahrtteilnehmer und es war nicht sicher, ob diese zusammen kommen.

Irgendwann im Frühjahr war es gewiss: Der Sonderzug kommt zustande, der Zug ist mit über 100 Teilnehmern sogar ausgebucht. Wobei um der Bequemlichkeit Willen die Zugkapazität nicht vollkommen ausgeschöpft wurde, doch die Hotelunterbringung der ganzen Meute war eine Herausforderung. Eine weitere Herausforderung war die Zulassung unserer Zuglok in den zu durchfahrenden Ländern. So ein Sonderzug ist eine sensible Sache, all zu schnell kann an der Grenze irgendein technisches oder bürokratisches Hemmnis gefunden werden, um dem Zug die Weiterfahrt zu verwehren. Insofern war uns klar, dass wir uns auf eine Abenteuertour eingelassen haben. Aber die Vorfreude war groß, der Zug versprach mit Restaurant- und Barwagen einigen Komfort, und schon der Weg würde ein Teil des Zieles sein.

Freitag, 21.08.2009: Hamburg - Sopron

So ging es dann am frühen Freitag Morgen los:

ICE 581 Hamburg-Harburg 05.09 > Nürnberg 09.28

Der Zug war herrlich (oder erschreckend?) leer. Mein Wagen war wunderbar ruhig, so dass ich bis Hannover erstmal noch ne gute Mütze voll Schlaf nehmen konnte. Danach zog es mich auf ein Boulevard-Frühstück in den Speisewagen. Die Portion war mal wieder reichhaltig. Seit dem letzten Besuch eines Bordrestaurants habe ich ja nun auch kapiert, dass man den zweiten Kaffee kostenlos dazu bekommt, so dass ich das natürlich mal genutzt habe. Ansonsten war man in der Küche damit beschäftigt, große Mengen Kaffee für den ersten Zugteil zu kochen, bei dem die Wasserversorgung ausgefallen war.

Die erste Reiseetappe fand schon mal in einem entspannend leeren Zug statt...

Ab Kassel konnte ich wieder dösen / Musik hören / in die regenverhangene Landschaft hinausschauen. Gestern war wahrscheinlich der wärmste Tag des Jahres und selbst heute Morgen herrschten draußen T-Shirt-Temperaturen. Damit war im ICE dann allerdings Schluss. Der Wagen war anfangs eiskalt, so dass ich irgendwann meinen Pullover aus dem Koffer holte. Später wurde die Temperatur etwas höher gestellt.

In Nürnberg traf ich mich mit Nicolai Werner, Jürgen Hörstel und Peter Bäuchle. Die Spannung stieg...

Die Wartezeit auf dem Bahnsteig verging einigermaßen schnell. Netterweise wurde der Zug am Zielanzeiger tatsächlich mit "Kosovo Polje" angekündigt. Da hatten wir ja mal gleich etwas zu knipsen. Irgendwann ereilte uns die Nachricht, dass unser Zug in Augsburg schon mit einer Stunde Verspätung gestartet sei. Bald wurde er bei uns mit +40 angekündigt. Die hatte er dann auch. Trotz Nicht-Wetter machten wir natürlich ein Bild von der Einfahrt. Standard-Spruch für solche Situationen war "Löschen kann man ja immer noch" :-)

In Nürnberg gibt es Züge nach Feucht, Neumarkt, München und Kosovo Polje.

DPE 19993 / D 16479 Nürnberg Hbf 10.34+40 > Sopron 18.40 +55

Der Zug bestand aus der My 1125 des (Bauzug-)EVU EIVEL mit Santa Fe Beschriftung, einem Pack-, einem Speise- und drei Personenwagen (ex Am, ABm, Am). Leider gab es nur noch ein freies Abteil in einem engen B-Abteil, wo wir uns zu viert reingequetscht haben, während sich in anderen 1.Kl-Abteilen teils nur ein oder zwei Personen reingeflätzt haben. Wir beschlossen, dass das morgen anders laufen muss. Insgesamt saßen wir aber noch recht bequem. Der Wagenpark wurde von der IGE gestellt, die auch als EVU auftrat. Der mittlere Wagen war für IGE-Reiseteilnehmer reserviert, der ABm und hintere Am für die Direktbesteller bei Michael Frick. Der Speisewagen war durch ein Hersbrucker Restaurant bewirtschaftet. Die beiden Damen hatten gut zu tun! Den "He lücht" am Lautsprecher machte ein Kollege von der IGE-Reiseleitung; die Lautsprecherdurchsagen waren akustisch gut verständlich.

Einfahrt des Zuges, der uns jetzt für einige Tage beherbergen wird...

Zur Fahrstrecke ist nicht viel zu sagen. Es ging auf der Hauptstrecke über Regensburg, Passau nach Österreich hinein. Mit +40 ging es los, bald hinter Nürnberg wurde es sogar noch mehr. 50 Min Verspätung in Passau war dann etwa der einstweilige Höhepunkt. Bei der Ausfahrt in Regensburg pöbelten paar Jugendliche zum Zug rüber, daraufhin brüllte jemand aus dem Zug "Wir fahren da hin, wo Ihr herkommt!" Ups, nun ja... In Österreich ging es sehr zügig voran. Man ließ uns sogar auf weiten Abschnitten auf der Schnellfahrstrecke fahren. Dadurch holten wir allerdings auch nur minimal auf, der Fahrplan war sehr knapp gestrickt. Immer wieder sahen wir Fotografen an der Strecke; hoffentlich wartete niemand an der alten Strecke...

Fotohalt in Passau.

Wir siedelten einstweilen in den Speisewagen um, wo es Leberkäs' und leckeren Eiskaffee gab. Die Hitze war im Abteil immer heftiger geworden, doch im Speisewagen wehte ein guter Wind durch die offenen Fenster. Und noch etwas war hier besser. Die Akustik von der Lok kam hier vorn schon sehr gut an. Insbesondere in den langen Tunneln der NBS, wo die NOHAB in der Steigung alles geben musste, genossen wir das Soundkonzert. Wenn die NOHAB gut aufdrehte und einer von uns irgendwas zu sprechen anfing, wurde er mit einem "Psssst!" zum Schweigen gebracht. Am Nachbartisch lief das bei paar Engländern ähnlich ab. Eine der wenigen Frauen, die im Zug waren, saß dort mit am Tisch und meinte nur "Freaks!"...

Hinter Wien wurde es spannend. Fotohalte waren angekündigt! Es ging auf die eingleisige und nicht elektrifizierte Aspangbahn. Leider musste hier aber der erste angekündigte Fotohalt in Maria Lanzendorf entfallen. Wir wurden auf den nächsten Bahnhof Traiskirchen (Aspangbahn) verwiesen. Per SMS hatte ich schon Kontakt zu Roni gehalten. Zufällig wollte er den Zug auch in Traiskirchen nehmen. Dort war die Situation dann auch gar nicht so schlecht. Die Lok stand perfekt im Licht. Paar Bilder gemacht, dann aber auch einfach mal die Meute fotografiert. Und mit Roni paar Worte gewechselt, schon nett, wenn man jemanden, den man per Forum / Mail oft "gesprochen" hat, nun auch mal persönlich kennen lernt.

Fotohalt in Traiskirchen an der Aspangbahn. Ja, wer quert denn da so zielstrebig die Gleise? ;-)

Nach Überholung durch einen 5047 drückte unser Zug nochmal in die Einfahrt zurück und es gab eine Scheineinfahrt. Leider war es im Norden schon recht schattig. Die Rückkunft nahm ich mir einfach im Bahnhof nochmal. Total durchgeschwitzt nun wieder im Zug Platz genommen. Nico besorgte Mineralwasser aus dem Speisewagen. 3 Euro für die Halbliterbuddel, nun ja... Wir hatten Glück gehabt. Ein kurzes Stück hinter Traiskirchen versank die Sonne schon im Schmodder über den Bergen.

Unser Sonderzug in Traiskirchen.

Abendstimmung an der Aspangbahn.

Trotzdem gab es noch einen Fotohalt auf der eingleisigen Dieselpiste von Wiener Neustadt nach Sopron in Loipersbach-Schattendorf. Der Bahnhof machte seinem Namen alle Ehre. Es reichte nur noch für ein Bild der Loksilhouette vor dem Abendhimmel.

Schattenbahnhof Loipersdorf, äääh, Loipersbach-Schattendorf.

In Sopron warteten Taxen am Bahnhof auf uns, die uns zum Hotel bringen sollten. Es waren allerdings nicht viele Taxen für die ganze Meute. Und wir durften nur die nehmen, die die Rufnummer 333 333 an der Seite dranstehen hatten. Die mit 555 555 waren verboten. Allerdings ging es dann doch recht zügig zum Hotel, das ein Stück außerhalb lag und sogar einen recht noblen Eindruck machte. Lediglich für die Rezeption hätte man bei dem Massenansturm vielleicht eine zweite Kraft einteilen können... Aber das Mädel war recht flink.

Nach dem Duschen gab es noch ein kleines Essen im Hotel. Die Dusche war eine Wohltat. Die Fahrt machte bis jetzt Spaß. Immerhin war ein Bild im schönen Abendlicht gelungen, das war ja schon mal was. Als Abendessen gab es Buffet, jedenfalls für Nico und mich. Ich probierte ein Fischgericht (sehr lecker!) und natürlich Gulasch (sehr lecker!). Jürgen und Peter bekamen für ihre zwei Biere eine Rechnung von 28 Euro. Nach ihrem Protest zeigte es sich, dass der Kellner angenommen hatte, dass sie auch gegessen hätten.

Angesichts der Hitze fiel mir das Einschlafen ziemlich schwer.

Samstag, 22.08.2009: Sopron - Belgrad

Wir wachten bei bedecktem Himmel auf. Mit dem Frühstück hatte es noch paar organisatorische Probleme gegeben, statt um 6 gab es das erst um 6.30. Schade war nur, dass die Taxen zum Bahnhof bereits ab 6.45 bereitstehen sollten. Wir nahmen alles mit runter, so dass wir nach dem Frühstück direkt ins Taxi steigen konnten. In rasanter Fahrt und ohne Anschnallgurt (die "Steckdose" fehlte) ging es zum Bahnhof, wo unser Zug gerade von einem Rangiertrecker bereitgestellt wurde. Unser erstes Anliegen war, uns ein großes Abteil im A-Wagen zu sichern, was auch mühelos gelang. Das war nun ein herrlich bequemes Sitzen.

Bereitstellung des Sonderzuges in Sopron.

D 13991 / D 12341 Sopron 7.20+10 > Belgrad ca 21.00 ca+110

Die Loks wurden erst zur Abfahrtszeit bereitgestellt. Die EIVEL-NOHAB wurde nun als Wagenlok mitgenommen. Als Zuglok fungierte die ungarische NOHAB 2761.017, die ebenfalls einer Baufirma gehört, die aber bestens gepflegt war und herrlich glänzte. Es ging durch verregnete ungarische Ebenen. Wirklich aufregend war die Landschaft nicht. Was uns allerdings sehr gefiel, waren die farbenfrohen Züge der GySEV, die teils mit eigenen, oft aber auch mit österreichischen oder MAV-Loks bespannt waren. Insbesondere die Garnituren auf der Dieselpiste nach Wiener Neustadt mit Herkules vor GySEV-Wagen gefielen sehr. Die Bahnanlagen an der GySEV-Strecke machten zudem alle einen sehr gepflegten Eindruck.

In Ikreny gab es in der Trübnis einen ersten Fotohalt. Nun ja, das war nicht die Offenbarung, aber besser als nichts. In Gjör trafen wir wieder auf die Magistrale Wien - Budapest, der wir nun mit zügiger Geschwindigkeit hinter einem Eurocity ostwärts folgen konnten. Draußen gingen immer wieder heftige Regenschauer runter, die wir aus unseren Plüschpolstern gelassen beobachten konnten. Bei Komarom konnte man über die Donau hinüber in die Slowakei schauen, wo alte Güterwagen unter altertümlichen Hafenkränen standen.

Die WC-Räume im Sonderzug hatten etwas "wohnliches" :-)

Vor Budapest riss der Himmel großflächig auf und die stechende Hitze war schlagartig wieder da. Die Landschaft zeigte sich nun mal etwas hügeliger. Auf der Magistrale kamen wir rasch voran, und schneller als erwartet waren die Außenbezirke von Budapest erreicht. In der Stadt selbst ging es nicht ganz so schnell voran. Es ging über die Donau hinüber, und wir schlängelten uns dann von einer Strecke auf die andere, so dass man bald die Orientierung verlor. Anhand des Sonnenstandes konnten wir verfolgen, dass wir die Stadt in einem Halbkreis östlich umfahren hatten.

Irgendwo in Budapest.

Bei Durchfahrt durch die verschiedensten Bahnhöfe sahen wir diverse interessante Loks, unter anderem einen Taurus in MAV-Cargo-Farbgebung. In Rakosrendezö blieb der Zug gut ausgeleuchtet stehen und ein Fotohalt war angesagt. Netterweise kam auf dem Nachbargleis auch noch ein fotogener MAV-Start-Regiozug durch.

Bf Rakorendezö, Begegnung mit einem MAV-Start-Regiozug.

Von Rakorendezö zog unser Zug ein Stück vor, um dann über ein ca zwei Kilometer langes Gleis rückwärts in den Vasuttörenteneti Park (Eisenbahnpark) zurückzustoßen. Das Gleis war in einem ziemlich abenteuerlichen Zustand, teils durfte man nur 5 km/h fahren. Irgendwann war voraus eine Rangiersignal gebende Frau auszumachen, die am geöffneten Tor des Bahnparks stand. Bald darauf kamen wir an einem Bahnsteig mitten im Bahnpark zum Stehen. Die Loks standen perfekt in der Sonne, so dass hier auch noch paar Bilder gingen. Man musste sich nur vor einem schienengebundenen Bahnmeisterauto in Acht nehmen, dass bei seinen Pendelfahrten grundsätzlich ohne zu bremsen auf die in den Gleisen stehende Fotografenmeute zubrauste.

Nach Ankunft im Bahnpark. Der Bahnmeister kommt angebrettert...

Der Park war faszinierend und - voll! Es handelte sich nicht um ein Eisenbahnmuseum im klassischen Sinne, sondern um einen Erlebnispark, der sich eindeutig gerade an Familien mit Kindern richtete. Die Exponate standen nicht gerade fotogünstig aufgebaut, sondern waren in langen Reihen zusammengeschoben. Dafür gab es zig Mitfahrten mit Kindereisenbahnen aller Spurweiten im Park und in der leeren Lokschuppen-Halle, Führerstandsmitfahrten auf einer Dampflok, in einem Bahnmeister-Schienenauto, auf der Draisine und sogar in einer Pferdebahn. Der arme Gaul wurde am Endpunkt immer umgespannt; Rückwärtsgehen war nicht nötig...

Nach einer halben Stunde wurden unsere Loks abgehängt und auf die Drehscheibe des Ringlokschuppens gefahren. Und siehe da - aus dem Schuppen kam eine dritte NOHAB angefahren. Dummerweise hatten uns jetzt die Gewitterwolken aus nordwestlicher Richtung erreicht. Die Sonne verabschiedete sich einstweilen vollkommen. Dennoch gab es natürlich paar Fotos von der NOHAB-Parade. Ansonsten beobachteten wir einfach das bunte Treiben. Es war schon Wahnsinn, wie voll der Park war; offenbar traf er genau den Nerv von Familienvätern, die ihrem Nachwuchs die Bahn näher bringen wollen. Oder die Bahn ist einfach populär genug, dass auch Otto Normalvater mit seinem Nachwuchs den Park anziehend findet.

Impressionen aus dem Park:

Und natürlich das NOHAB-Meeting:

Wir hatten nun ganz gut Hunger. Mangels Forinth konnten wir uns an den Buden im Park ja auch nichts besorgen. Der Speisewagen war zunächst voll, doch noch innerhalb von Budapest kam die Ansage, dass Platz wäre. Ich aß, während wir in die Puszta einrollten, das Tagesgericht (Putencurry mit Reis, sehr lecker!). Dazu ein leckeres Schwarzes, das ging gut. Wir fuhren nun einen Umweg über Cegled und Kiskunfelegyhaza, weil die direkte Strecke baubedingt nicht passierbar war. In Kiskunmajsa sahen wir sogar einen kleinen Schmalspur-Personenzug, Lok und ein Wagen. Leider waren jetzt keine Fotohalte angeordnet - mittlerweile waren wir den Wolken nämlich wieder ein gutes Stück voraus.

Und so näherten wir uns stramm der serbischen Grenze. Die Verspätung betrug etwa 10 Minuten - auch diese Verspätung war mal wieder hausgemacht, irgendwie kamen wir nicht rechtzeitig aus dem Park raus. Dennoch wurde von der MAV nicht die Praxis "Pech gehabt - Slot weg" durchgezogen. Im Gegenteil, man schaffte uns freie Bahn, es gingen sogar Regiozüge für uns an die Seite. Und hierzulande ist ja selbst auf eingleisigen Strecken genügend Kapazität vorhanden, um auch einen verspäteten Sonderzug durchzubringen.

In der weiten Puszta, Bf Kisszallas.

Begegnung mit einem MAV-Start-Regiozug in Kisszallas.

In Kisszallas hatten wir dann noch einen letzten unverhofften Kreuzungs- und Fotoaufenthalt in Ungarn. Das Licht war am Schwinden, ging aber gerade noch. Der relativ große Bahnhof lag mitten in der Einöde, rechts von den Loks fiel der Blick weit über die Puszta. Auch in Kelebia erlaubten die ungarischen Grenzorgane Fotos vor der Kontrolle; es war aber kein Licht mehr. Die Ungarn warfen nur einen Blick in unsere Pässe.

In Kelebia beschleunigte unser Zug ungewöhnlich stark. Ein Blick aus dem Fenster verschaffte Klarheit: Mit einer Ellok (war es schon die serbische 444?) als Vorspann ging es nun weiter. Die ungarische NOHAB wurde in Kelebia verabschiedet. Das Gleis führte nun durch absolute Einöde auf die Grenze zu. Wald, Wiesen, alles mehr oder weniger wild. Irgendwo vor der Grenze in der Pampa mal ein einsames Gehöft. Wie häufig mögen hier Illegale "reinschauen", die es über die EU-Außengrenze geschafft hatten? Ich stellte es mir unheimlich vor, dort zu wohnen.

Dann Serbien, Subotica. Auch hier lief die Grenzkontrolle unkompliziert ab. Es gab den obligatorischen Einreisestempel, ohne den man illegal im Land ist, sonst nix. Der Zoll wusste wohl, dass sich die Insassen des Zuges nur für Bahn und nix anderes interessieren. Während des Grenzaufenthaltes hobelte eine kleine Rangierlok hin und her. Ein wunderbarer Nebenbahnzug mit 661 und zwei verschieden lackierten Wagen kam rein. Für sowas würde ich ja glatt nochmal herkommen, wenn nicht beide Wagen über und über mit Graffiti beschmiert gewesen wären. Und der Nachtzug nach Bar mit einer 461 wurde bereitgestellt. Der Zug hatte sogar einen ex-SNCF-Schlafwagen, der jetzt für die Eisenbahn Montenegros zuständig ist.

In sehr mäßigem Tempo rollten wir nun über eine schienenstößige Piste südwärts. Dadamm, dadamm. Ein Maisfeld. Dadamm, dadamm, noch ein Maisfeld. Dadamm, dadamm, oh, ein Sonnenblumenfeld! Voll abwechslungsreich hier. Weiter Blick bis zum Horizont, in der Ferne eine Rauchwolke, irgendwas wurde abgefackelt. Die Sonne könnte bald unter der Wolkendecke im Westen hervorsinken. Und uns war in zwanzig Minuten ein Fotohalt versprochen worden. Das konnte passen!

Als wir den Ort des Fotohaltes, den Bahnhof Žednik, erreichten, warf noch ein Gegen-Güterzug Schatten auf unseren Zug. Doch der hatte bereits grün, das passte. Wir bauten uns auf und warteten. Die Sonne kam durch, beschien aber nur die letzten Wagen unseres Zuges. Wann fährt der Güterzug denn endlich ab? Plötzlich ging das Signal wieder auf Rot. Ausfahrt zurückgenommen. Was soll das denn jetzt? So eine Sch... Der Güterzug beschattete unser ganzes Motiv. Plötzlich kam ein Mensch mit Plastiktüten über die Gleise zur Lok des Güterzuges gewetzt. Der Lokführer war einkaufen gewesen, ja klasse! Ausfahrt war weg, unser Zug im Schatten, Motiv hin!

Nur der Vollständigkeit halber: Wir hatten in Serbien erstmal die 444 022 vor. Bf Žednik.

Grummelnd wieder eingestiegen. Der Speisewagen war voll, also konnten wir uns nichtmal mit Abendessen abreagieren... Jürgen bezog allerdings Stellung im Speisewagen. Bald erhielten wir das verabredete Handy-Klingelzeichen und liefen schnell zum Speisewagen. Das Durchkommen durch den Sonderzug war nicht immer so ganz einfach, weil der Gang in der Regel voller Reisender stand. Im Speisewagen war die Hölle los. Ich aß einen Salat, das reichte bei der Hitze. Vorm Fenster war immer die gleiche Linie zu sehen. Unter der Linie verschwanden die Strukturen von Mais und Sonnenblumenfeldern zunehmend in der Dunkelheit, über der Linie nahm die Fläche eine zunehmende Rotfärbung an. Das zweite Bier nahmen wir in Flaschenform mit ins Abteil, da noch all zu Viele auf einen Platz zum Essen warteten. Hier die gleiche Linie vorm Fenster, unter der Linie war's dunkelgrau bis schwarz, über der Linie hellgrau und noch leicht rötlich.

Die wieder aufgebaute Donaubrücke von Novi Sad war interessant. Der Zug fuhr auf der Straßenfahrbahn. An beiden Enden regelten Posten den Verkehr! Der Blick auf die beleuchtete Stadt war prächtig. Weiter ging es in extremem Bummeltempo über heftigste Schienenstöße durch die Dunkelheit. An einer Stelle wurde gebaut. Wir würden Belgrad deutlich später erreichen - und das lag nicht mehr an der Viertelstunde Verspätung, die wir in Ungarn hatten. Nach rund anderthalb Stunden rollten wir endlich in die Hauptstadt ein. Prächtig der Ausblick von der Savebrücke.

Mit 10 km/h schlichen wir in den Hauptbahnhof hinein. Der gesamte Ein- und Ausfahrbereich wird mit ortsgestellten Handweichen "gesichert". Zahllose Posten liefen zwischen den Zügen hin und her und schmissen die Hebelgewichte um. Wie da wohl die Kommunikation klappt? An einer Stelle fuhr eine geschobene Rabt parallel und gleichzeitig kam ein ausfahrender Zug entgegen. Da waren die 10 km/h schon beruhigend. Am Bahnsteig in Beograd waren wir gerade ausgestiegen, da kam auf dem Nachbargleis ein historischer Zug (allerdings mit 444 vorweg) eingefahren. Er führte einen alten Salonwagen und mehrere Plattformwagen.

Auf dem Bahnhofsvorplatz standen für uns zwei Busse bereit. Im wahren Heiz-Stil wurden wir über die Autobahn zum Hotel Srbija gefahren. An einer Stelle verfuhr sich der Fahrer auch noch und setzte rückwärts auf eine Kreuzung zurück. Das Einchecken im Hotel nahm natürlich auch eine geraume Weile in Anspruch. Die kommende Nacht würde sehr kurz werden! Die Dusche gab kein warmes Wasser, ich habe es allerdings nicht wirklich vermisst. Das kühle Nass tat sehr gut. Immerhin lagen wir um 0.20 endlich im Bett!

Sonntag, 23.08.2009: Beograd - Fushė Kosovė

Die Klimaanlage war direkt auf mein Kopfkissen gerichtet. Aber ohne ging man ein, das Zimmer war extrem aufgeheizt gewesen. Also Betttuch um den Kopf gewickelt und dann auch tief und fest geschlafen. Eine Minute vor dem Wecker bin ich erst wieder wach geworden. Um 5.20 hieß es schon wieder aufstehen! Zum Frühstück fuhren wir mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss, nur um festzustellen, dass das Restaurant ganz oben im 18. Stock liegt. Also wieder hoch. Das Frühstücksbuffet war sehr reichhaltig. Besonders schön: Neben den üblichen kontinentalen und englischen Frühstückszutaten hatte man auch ein ganzes Sortiment an unbekannten, einheimischen Spezialitäten im Angebot. So gab es z.B. serbische Bohnen in zwei Varianten, eingelegte Auberginen, verschiedene Salate - da hätte man sich noch ausführlicher mit beschäftigen können. Das dürfte eines der abwechslungsreichsten Frühstücksbuffets gewesen sein, die ich in Südeuropa je bekommen habe.

Blick aus unserem Zimmer im achten Stock des Hotel Srbija.

Runter zum Bus fuhr uns der Fahrstuhl erstmal wieder hoch in den 18. Stock. Unsere zweite Fahrstuhl-Rundtour heute. Der erste Bus war schon abgefahren. Unser sollte um 7.10 vom Hof rollen. Tat er aber nicht. Wir mussten noch auf einen Nachzügler warten, der um 7.10 erst geweckt worden war... Am Bahnhof stand unser Zug zwar im Schatten, aber wir hatten Zeit genug, um das "wilde" Treiben im Gleisvorfeld fotografieren zu können. Dazwischen immer wieder die Weichenwärter mit ihren roten Fähnchen und Trillerpfeifen. Wie können die wohl den Überblick behalten? Es gab interessante Kurswagen-Umsetzmanöver zu beobachten. Wir sahen neben serbischen auch mazedonische, bulgarische, griechische, slowenische, kroatische, montenegrinische, ungarische, österreichische und russische Wagen! Was für eine Vielfalt. Und was für ein Mist, dass alles über und über mit Graffiti beschmiert ist!

Einige Impressionen vom bunten Treiben in Belgrad:

Unsere Vorspannlok ab Beograd wartet noch außerhalb des Bahnsteigdaches.

Multinationales Kurswagenumsetzen: Wagen der mazedonischen, griechischen und bulgarischen Eisenbahn werden dem Schnellzug nach Thessaloniki beigestellt.

Und die Zuglok für den Griechenland-Zug, eine 461 in alter Farbe. Der Weichenwärter signalisiert, dass wahrscheinlich alle Weichen richtig liegen...

D 12341 / D 17881 Beograd 8.00 > Fushė Kosovė 18.30+X

Eine 661 setzte sich nun bald gegen unseren Zug und ausnahmsweise setzten wir uns mal pünktlich in Bewegung. Uns wurde sogar Vorrag vor dem Griechenland-Schnellzug gegeben, der ja wahrscheinlich auch in unsere Richtung musste (und uns in Lapovo dann auch wirklich überholte). In einem Vorortbahnhof standen die drei Titozug-V300er, natürlich über und über mit "Kunstwerken" versehen. Unser Zug fuhr extra langsam dran vorbei. Im weiteren Fahrtverlauf wand sich die Strecke wunderschön in die Berge. Zwei beeindruckende Talbrücken wurden gequert. Da jetzt die Sitzwagen vorn waren, konnten wir den Sound der 661 sehr schön hören.

Die Tito-V300er stehen jetzt in einem Vorortbahnhof von Beograd.

Leider wurde im Folgenden der 661 nicht all zu viel abverlangt. Bald sank nämlich die Reisegeschwindigkeit auf ca 20 km/h. Und das ging zig Kilometer weit so. Als unsere Reiseleitung kurz vor 10 optimistisch verkündete, dass wir um 10.25 Lapovo erreichen würden, hatten wir gerade Mladenovac passiert, und das ist etwa die halbe Strecke zwischen Belgrad und Lapovo. Kaum zu glauben, dass dies DIE transeuropäische Hauptstrecke zur Anbindung Griechenlands und der Türkei an den Rest Europas ist! Immerhin durfte der Zug einen Bahnhof hinter Mladenovac, in Kovaćevac, auf normale ca 80 km/h beschleunigen. Lapovo, wo wir aufs Dieselnetz südlich der Hauptstrecke abzweigen würden, erreichten wir um 11.15!

Die schwedischen Reiseteilnehmer müssen sich wie zuhause gefühlt haben. Nun tauchten in Lapovo auch noch ex schwedische Y1 auf.

Die Fahrt verlief hinter Beograd die ganze Zeit unter geschlossenen Wolken. Doch vor Lapovo zeigte sich endlich die Sonne. Diese war allerdings von nicht besonders langer Dauer. Auf der Dieselpiste ging es nun wieder aus der Ebene in die Berge. Und dort herrschte praktisch geschlossene Bewölkung. Es gab einen ersten Streckenfoto-Halt auf einem Damm. Wir durften alle einen Hang erklimmen und zuschauen, wie erstmal die führende 661 wegfuhr und wie unsere NOHAB dann den Sonderzug trotz fehlender Genehmigung zum Alleinefahren ein Stück vorzog. Da es dabei Probleme mit den unterschiedlichen Bremsluftsystemen gegeben hatte, verzichtete man allerdings bei weiteren Fotohalten darauf, die 1125 selbständig fahren zu lassen.

Gut an diesem Fotohalt waren die ausgefallene Funkgeräte des Zugpersonals vorm Zurückdrücken. Bis der Fehler behoben war, war nämlich die Bewölkung ein kleines Stück aufgerissen, so dass wir nach dem Zurückdrücken wenigstens etwas Sonnenlicht hatten. Ob der Fdl wohl all diese Sperrfahrten korrekt im Zugmeldebuch eingetragen hat? ;-)

Unser erster Fotohalt auf freier Strecke.

Nun ging es ohne Halt bis zum Knotenbahnhof Kraljevo weiter. Die Landschaft war nach wie vor stark hügelig, und vor uns lag die Kulisse des Gebirges, das immerhin schon Gipfel von über 2000m vorweisen konnte. In Kraljevo Fotohalt. Sehr zu unserer Freude waren an diesem Nebenbahnknoten Elektrifizierungarbeiten im Gange... Man hatte auch einige Schienenautos für uns aufgebaut. Ein einheimischer älterer Herr fand den Zug so toll, dass er paar Bilder mit seinem Handy machen wollte und dabei der "Meute" im Wege stand. Es gab einige unangemessene Rufe aus der Gruppe, die zu Recht hinterher eine Zurechtweisung durch die Reiseleitung zur Folge hatten. Schließlich wurden wir von der Bevölkerung genau beobachtet.

Unser Zug und daneben der Planzug in Richtung Ibar-Tal. Wir ahnten nicht, dass der Planzug dasselbe Ziel wie wir haben würde.

Vor einem Planzug starteten wir nun in das Tal des Ibar. Dieses wurde bald sehr eng. Paarmal wurde der Fluss gequert, einmal mit 10 km/h auf einer provisorischen Brücke. Es reihten sich Tunnel an Tunnel. Das enge Waldtal war landschaftlich sehr schön. Kraljevo war der letzte Knotenbahnhof. Das Gleis im Ibar-Tal führte nun stetig in Richtung Kosovo. Doch bis zur Grenze war es noch ein langer Weg...

Hinter einem Tunnel gab es einen Fotohalt. Das wirklich eindrucksvolle Motiv war die Festungsanlage Maglić. Leider war der Zug nicht weit genug gefahren; die Ruine hätte man nur mit Extrem-Weitwinkel reinbekommen. Die 661 war ein Stück vorgezogen, damit die Rundnase zur Geltung kommen konnte. Bald befassten sich aber alle mehr mit der 661, weil diese an ihrem Standpunkt mit der Burg zusammen aufgenommen werden konnte. Leider war die Sonne, die anfangs kurz geschienen hatte, nun wieder verschwunden.

Unsere 1125 im einsamen Ibar-Tal.

Ein Stück weiter hatte die 661 geparkt. Hier sah man auch die Festung.

Spalier stehen zum Wiedereinstieg.

Durch prallen Sonnenschein ging es weiter, tolle Wurst! Uns zog es erstmal zu einem späten Mittagessen in den Speisewagen, wo es Lasagne gab. Die Strecke führte das gewundene Tal kontinuiertlich weiter aufwärts durch Sonnenschein. Glücklicherweise erst, als das Essen aufgegessen war, wurde der nächste Fotohalt im Bahnhof Brvenik angekündigt. Der Zug kam ein gutes Stück vor dem EG zum stehen. Schnell beides zusammen aufgenommen, bevor die Sonne wieder verschwand. Das war leider der Fall, als nach rund 40 Minuten der überholende Nahverkehrszug kam. Aber unseren Zug hatten wir ja mit Sonne...

Der Halt in Brvenik. Der eine oder andere Reiseteilnehmer hatte immer etwas Interessantes zu entdecken...

Hier schwärmt Dragan, unser serbischer Begleiter, Michael von der Vorzüglichkeit des nächsten Fotohaltes vor...:

Die Überholung hatte einen bestimmten Grund. Wir würden nämlich den folgenden Streckenabschnitt etwas länger blockieren. Wie uns nach der Abfahrt mitgeteilt wurde, hatte die einheimische Bevölkerung einen Kilometer weiter für uns einen Willkommensgruß vorbereitet. Man freute sich über unseren Besuch in der Gegend und bot daher selbstgemachtes Kulinarisches an: Heidelbeersaft, Slivowitz, Kaffee, Honigbrote. Wirklich nett! Neben der Bahn gab es einen kleinen Pavillon und ein nett angelegtes Plätzchen. Dann der Blick zurück und bei mir schrillte die Motivglocke ganz laut. Das kleine Kapellchen Stara Pavlica (St. Paul) thronte nicht nur am Rande des eben noch durchfahrenen Einschnittes, sondern sogar zum Teil über dem Einschnitt!

Plötzlich stehen im einsamen Tal des Ibar Einheimische und heißen uns auf freier Strecke mit einem kleinen Imbiss Willkommen.

Als der Zug ins Motiv gerückt wurde, verlagerte sich allerdings vorübergehend der Interessensschwerpunkt der Reiseteilnehmer.

Ich war gerade dabei, die Leckereien des Buffets zu fotografieren, da wurde hinten der Zug ins Motiv gedrückt. Und der Zug war plötzlich so hell! Da vergaß ich erstmal den leckeren Heidelbeersaft und stellte mich auf den hier vorhandenen idealen Fotohügel. Zu allem "Überfluss" bereicherte das Formvorsignal des Bahnhofs Brvenik auch noch das Motiv. Dass wir das erst mit der 661 und dann nochmal nach mühsamem Abkuppeln in der Kurve mit unserer 1125 mit Sonne hinbekommen haben, machte den Tag ja schon wieder lohnend. Und fürs besondere Glück wurde das Ganze noch mit nem leckeren, aber auch starken Slivowitz besiegelt.

Blick vom passenden Fuzzyhügel auf die Kirche Stara Pavlica.

Mit viel Schweiß gelang es den Lokführern, die 661 in der Kurve abzukoppeln, damit wir den ungehinderten Blick auf die My vor dem Kapelleken hatten.

Es war mittlerweile 18 Uhr geworden - fast die geplante Ankunftszeit am Zielort. Aber wir waren noch ein ganzes Stück vom Kosovo entfernt. Langsam versank die Sonne (wenn vorhanden) hinter den umgebenden Bergen, auch wenn das Tal hier deutlich weiter geworden war. In Raška gab es einen der wenigen Bahnhöfe mit Ausfahrsignalgruppen. Hier legten wir auch ohne Sonne noch einen Halt ein - mit Scheinausfahrt. Dabei besichtigte ich noch kurz das mechanische Wärterstellwerk an der Ausfahrt. Es war voll ausgestattet mit Fahrstraßenfestlegung und Streckenblock (Felderblock).

Scheinausfahrt in Raška mit Formsignalgruppe. Der Tag neigt sich dem Ende zu, doch wir hatten noch weit zu fahren.

In Rudnica, dem Bahnhof unmittelbar vor der Grenze, hielten wir, obwohl Cheffe auf dem Bahnsteig mit der Kelle "Durchfahrt" signalisierte. Große Aufregung: Ein Reiseteilnehmer fehlte. Wo mochten wir ihn verloren haben? Erst nach längerer Zeit wurde klar, dass er die ganze Zeit auf der Lok mitgefahren war... Wir fuhren weiter und passierten bald die Grenzkontrollstelle an der parallelen Straße. Willkommen im Kosovo, einem Land (aus Sicht vieler Länder noch immer nur eine autonome serbische Provinz), von dem man ja schon ganz schön viel gehört hat. Negatives durch den Krieg, Positives vom Eisenbahnwesen (in NOHAB-Hinsicht), aber auch in verschiedenen Reiseberichten viel sehr Positives über die Menschen dort.

Allerdings kam jetzt eine etwas irritierende Durchsage: Uns wurde angekündigt, dass wir mit unserem Zug leider nicht in den Kosovo einreisen dürften und die drei Kilometer von Zvećan bis Mitrovicė "über die Grenze" mit dem Bus fahren müssten. Dabei fuhren wir jetzt schon durch den Kosovo, und zwar durch die vornehmlich von Serben bewohnten Gebiete, für die auch am ehesten noch die Warnungen des Auswärtigen Amtes gelten.

Nun gab es folgende Situation: Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im letzten Jahr sind die Bahnhöfe auf dem Gebiet der serbischen Bevölkerung im Kosovo von der serbischen Bahn quasi "besetzt" worden. Da die KFOR um des Friedens Willen bis jetzt dagegen nicht vorgehen wollte, betreibt die serbische Staatsbahn ZS also momentan den Streckenabschnitt durch den Kosovo von der Grenze bis Zvećan aus Kosovo-Sicht illegal. Dafür gelangen jetzt aber ZS-Züge im Personenverkehr bis Zvećan, also weit in den Kosovo hinein. Aber die Kosovo Railway weigert sich natürlich, mit den "Bahn-Besatzern" Züge auszutauschen. Deshalb gibt es momentan zwischen Zvećan und dem ersten Bahnhof im Bereich der albanisch-stämmigen Bevölkerung, Mitrovicė, keinen Zugverkehr. Für unseren Sonderzug wurde leider keine Ausnahme gemacht.

Trotz all dieser politischen Wirren, denen wir nun in Form eines kurzen SEV auch zum Opfer fallen würden, wurde uns eine Demonstration der Tatsache, dass die Bevölkerung das alles ganz anders sieht, angekündigt. Auch in Mitrovica sollte ein Willkommensimbiss auf uns warten! Soweit waren wir allerdings noch nicht. Erstmal hielten wir im ersten Bahnhof im Kosovo, Bf Lešhak, eine ganze Weile, um die Rückkehr des serbischen Bummelzuges zwecks Kreuzung abzuwarten. Uns wurde gesagt, dass für uns jetzt Visa ausgestellt werden müssten. Während der Wartezeit wurde es langsam dunkel. Auf der parallelen Straße sahen wir KFOR-Autos langfahren. Erst nach 20 Uhr durften wir die Fahrt fortsetzen. Nachtrag: Jürgen und Peter hatten im Speisewagen mitbekommen, dass während des Aufenthaltes aus unserem mitgeführten ex-Post-jetzt-Vorratswagen paar Getränkekisten unerlaubterweise ausgeladen wurden. Durstige Leute hier - sicher aber nicht auf das Gros der hiesigen Bevölkerung übertragbar.

Immerhin hatten wir bei der Einreise in den Kosovo keinerlei persönliche Grenzkontrolle. Die ganze Prozedur lief von uns unbemerkt im Hintergrund ab und wurde unterstützt von der deutschen Botschaft und drei Flaschen Schnaps... Durch die Dunkelheit ging es wiederum durch ein sicherlich sehr schönes und oft tief eingeschnittenes Waldtal. Ich stellte mich ans offene Fenster. In den Orten schauten Leute verwundert zu unserem Zug rüber. Kurz vor dem Doppelort Zvećan / Mitrovicė, der durch den Ibar und eine bürokratische und etnische Grenze getrennt wird, konnte man voraus auf die eigenartige Kulisse eines sehr hohen Zuckerhut artigen Bergkegels mit angeleuchteter Festung und großer Flagge obenauf schauen. Daneben erhob sich ein irre hoher Schornstein in den Himmel.

Vor dem Bahnhof wartete dummerweise nur ein Bus auf uns. Der musste nun erstmal die erste Ladung von uns rüber in den albanischen "Sektor" bringen. Während der Wartezeit auf die Rückkehr des Busses hörten wir von einigen Österreichern massive Kritik am Ablauf der Fahrt. - Und viele Fahrtteilnehmer waren noch immer der irrigen Annahme, dass wir noch in Serbien seien. Unser Zug wurde an die Seite rangiert, während wir weiter warteten. Die Zeichen der serbischen Eisenbahn prangten demonstrativ am Bahnhofsgebäude und auf einer riesigen Flagge, das Personal trug auch entsprechende Anstecknadeln, die ich beim sonstigen ZS-Personal noch nicht gesehen hatte.

Endstation Zvećan. Nun waren wir doch nicht ganz bis Kosovo Polje (im Folgenden verwende ich den albanischen Namen "Fushė Kosovė") gekommen, wie es uns der Zugzielanzeiger in Nürnberg versprochen hatte. Aber weit war es nicht mehr...

Der schrottreife alte Mercedisbus mit nicht funktionierender Hintertür brachte uns nun nach Mitrovica rüber, also quasi auf die andere Flussseite. Dort stand im Bahnhof der Kosovo Railway schon die ex-norwegische NOHAB mit einem Güter- und zwei schwedischen Personenwagen. Sowas wollten wir sehen! Es war nun schon 22 Uhr und glücklicherweise fiel der angekündigte Willkommensimbiss aus. Wir verteilten uns auf die Wagen, wobei ich mich für den ersten (unbeleuchteten) Wagen entschied. An den Wagenenden standen die ganze Zeit zwei Zugbegleiter und leuchteten mit Handlampen. Dank der fehlenden Beleuchtung konnte man schön rausschauen. Ansonsten machte das Innere des Wagens einen top aufgearbeiteten Eindruck, die Sitze waren längst nicht so usselig wie in Schweden.

Relativ zügig ging es nun auf die letzte Distanz bis Fushė Kosovė / Kosovo Polje. Wir hatten mit 4-5 Stunden Verspätung das Ziel der Reise erreicht. Die Gruppe musste jetzt auf mehrere Hotels verteilt werden. Jetzt konnten wir nur noch hoffen, dass morgen das Wetter besser werden würde! Auf uns wartete zum Glück das Hotel Bali, dass gleich auf der Bahnhofsrückseite lag. Bisherige Berichte hatten mich vermuten lassen, dass es am Bahnhofsvorplatz läge, aber man musste also vom letzten Bahnsteig aus über ca 10 Gleise nach hinten raus stapfen. Im Hotel tat sich der Rezeptionist nicht besonders leicht mit der Zimmerverteilung, aber als jemand eine Liste rausholte, ging es etwas schneller.

Wir bekamen ein Zimmer mit Ehebett, gemeinschaftlicher Decke und Doppel-Kopfkissen. Das Bett war allerdings sehr breit, und wir hatten unsere JH-Schlafsäcke dabei, so dass das alles kein Problem war. Das Zimmer teilten wir uns mit paar großen Motten und irgendwelchen größeren Krabbelviechern. Aber ich glaube nicht, dass mir nachts eines davon in den Mund gekrochen ist. Nachtrag: Die Tierchen wurden in den Folgetagen nicht wieder gesehen. Nach dem Einstecken von Ohropax wegen lärmender Hunde konnte ich wunderbar tief schlafen. Peter und Jürgen wurden mitten in der Nacht von Trommeln geweckt, offenbar irgendein Ritual in einem benachbarten Cinti- oder Romalager.

Fortsetzung

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